Eine von 24 schönen Aussichten

by Kristin Schmidt

Der Verlust ist nicht so leicht zu verschmerzen, umso mehr, da das Gefühl überwiegt, es wäre nicht allzu schwierig gewesen, ihn zu verhindern: Die St. Galler Stadtwerke haben die Filterhalle des Wasserwerks in Goldach abgebrochen. Es wurde nicht informiert, es wurde nicht diskutiert, es wurden Tatsachen geschaffen. Hätte der Abbruch sonst verhindert werden können? Das ist sicher, war die Filterhalle, ein Bau des Betonspezialisten Robert Maillart, doch sowohl technisch wie auch ästhetisch ein Meisterwerk. Sie bestand aus mehreren, halb unterirdischen Becken und einer schrägen Hallendecke, getragen von pilzförmigen Stützen – eine aufsehenerregende Konstruktion. Zwar war stand sie nicht unter Denkmalschutz, wurde aber in der internationalen Fachliteratur gewürdigt und ist im Inventar der neueren Schweizer Architektur aufgeführt. Nun ist sie weg, unwiederbringlich. Das Entsetzen ist gross, nicht nur in Fachkreisen, aber vor allem dort. So etwa bei Jürg Conzett. Erst in diesem Sommer bespielte der Ingenieur anlässlich der Architekturbiennale in Venedig den Schweizer Pavillon. Statt eigene Werke in den Vordergrund zu rücken, präsentierte er gemeinsam mit dem Fotografen Martin Linsi  mehr als vierzig technische Bauten in der Schweizer Landschaft in Fotografien, Texten und Modellen. Robert Maillart, Schöpfer der Filterhalle und Pionier der Brückenbaus, war da selbstverständlich auch Thema.

Conzett, gebürtiger Aarauer mit Büro in Chur, analysierte anhand von Brücken, Stegen und Stützmauern die Wechselwirkungen von Konstruktion, Tradition, Ökonomie und Landschaft – ein höchst anspruchsvolles, von Sachverstand und Leidenschaft getragenes Unterfangen. Auch die Sitter- und Goldachbrücken fanden Aufnahme in Ausstellung und Publikation. So schaffte es St. Gallen also bereits im vergangenen Sommer bis nach Venedig, und wird auch im kommenden Jahr auf sehr sympathische Weise dort vertreten sein: Giovanni Carmine wurde von Biennale-Direktorin Bice Curiger ins Kuratorium der kommenden, der 54. Biennale in Venedig geholt. Den Tessiner Kurator traf es völlig überraschend, Curiger hingegen verfolgt seine Arbeit schon lange und ist sehr beeindruckt von seinen Projekten. Seit 2006 leitet Carmine die Kunsthalle St. Gallen. Nun wird der Ruf nach Venedig einmal mehr auch der Kunsthalle erhöhte Aufmerksamkeit bringen – eine Chance nicht nur für die Institution, sondern auch für das Kulturleben in der Stadt.