Malerei ohne Malerei

by Kristin Schmidt

Das Amt ist ausgezogen, die Kunst zieht vorübergehend ein. Mit Christian Vetter zeigt die Guerilla Galerie im ehemaligen Betreibungsamt einen international arbeitenden Künstler.

Christian Vetter ist Maler. Malerei, was ist das genau? Während motivisch überladene Gemälde, ganz gleich ob gegenständlich oder nicht, grosse Markterfolge feiern, arbeitet Vetter (*1970) an der Essenz der Malerei. Sie interessiert den Zürcher Künstler als Medium, mit dem sich Körper und Welt ins Verhältnis setzen lassen. Malerei kann unabhängig von willkürlich gewählter Farbmaterie und Farbträger existieren und sie hinterlässt Spuren. All dies ist Thema seiner Ausstellung für die Guerilla Galerie. Unter dem Titel „Die Negation der Negation“ inszeniert Christian Vetter Malerei, ohne dafür einen Pinsel zur Hand zu nehmen. Im ersten Stock des Gaiserbahnhofsgebäudes verwandelt er Räume in Bilder. Das Vorgefundene ist selbstverständlicher Teil des Ganzen, ja es ist sogar sein Ausgangspunkt.

Bis April war hier das Betreibungsamt untergebracht. Nun sind Flur und Bürozimmer leer – und auch wieder nicht. An einer Kastentür klebt ein Zettel. „Neue Adresse ab 1.4.1978 Bahnhofsplatz 8“ steht darauf: Mehr als dreissig Jahre lang haben hier Behördenalltag, Arbeitsabläufe und Amtspersonen gewirkt und die Räume geprägt. Die Spannteppiche sind ausgetreten und fleckig. Staub und ausgeblichene Stellen an den Wänden zeugen von früherem Bildschmuck. Die Hängeregister in den Schränken sind noch da, aber geleert. Es dominieren Grau und Beigetöne. Wer eintritt, ist sofort Teil der Installation. Sie nimmt einen gefangen noch bevor die künstlerische Intervention ins Bewusstsein rückt.

Vetter hat sämtliche Leuchtstoffröhren durch Tageslichtröhren ersetzt. Das gleissende, kalte Licht verbindet alle Räume. In fünfen sind Fichtenholzleisten zu ephemeren Konstruktionen verbaut. Sie spreizen sich zwischen Decke und Boden, imitieren Trennwände und verbinden zugleich. Mehr oder weniger verhüllt von schwarzem Molton wirken sie mal wie Überreste mal wie Kulissenarchitektur oder Paravents. Oder sie sind zu einem hermetischen, schwarzen Kubus gefügt, der den Betrachter aussen vor bleiben lässt. So wie es der grosse Empfangsschalter des ehemaligen Amtes tat.

Vetter spielt nicht nur mit Atmosphäre und Identität der Amtsstuben. Er verstärkt und akzentuiert sie und deutet sie um. Er verzichtet auf Malerei, doch die Negation führt nicht zum Bildverlust, sondern schärft im Gegenteil den Blick. Die Holzleisten bilden einen deutlichen Kontrast zu den grau gestrichenen, massiven Tresoren und den ebenso grauen Schränken aus Pressspanplatten. Aber sie lenken den Blick auch auf das Raster der Fensterstreben und des Parketts im Flur. Mehrdeutig auch die halb herunter hängenden Tücher. Einerseits entsprechen sie dem abgenutzten Zustand des Amtes, andererseits kommen sie unvermittelt und provisorisch daher.

Bewusst arbeitet der in St. Gallen aufgewachsene Künstler mit einfachsten Materialien. Seit längerem untersucht er die kommerziellen Interessen an der Kunst und die daraus resultierenden Probleme. Nun kann er mit temporären Werken die Kunstmarktinteressen ausgerechnet im Betreibungsamt unterlaufen.