Kunst im Vorbeifahren

by Kristin Schmidt

Im Palais Bleu ist die achte Folge der Ausstellungsreihe LeLieu zu sehen. Die St. Galler Kuratorin Maren Brauner hat Künstlerin Angela Werlen eingeladen, Arbeiten für das Haus zu entwickeln.

Alltag und Ausstellungen haben Spuren hinterlassen. Wohin das Auge blickt, entdeckt es im Palais Bleu in Trogen Sehenswertes, Überraschendes, Anheimelndes. Die Bordüre im Treppenhaus, ein schablonierter Schriftzug an der Wand, ein Fotofries über den Plättli, historische Leuchter oder auch nur ein alter Türgriff – alles zeugt von der 135jährigen Geschichte des Hauses als Spital und Pflegeheim und seiner Gegenwart als Kunst- und Kulturort. Gar nicht so einfach, da noch einen Raum für Interventionen zu finden. Doch es ist wieder einmal gelungen.

Gastkuratorin Maren Brauner und Künstlerin Angela Werlen haben das Palais Bleu besucht, untersucht und in der Vertikalen den geeigneten Platz für Werlens Erzählung geortet. Die Künstlerin aus Ferden im Lötschental hatte einige Zeit zuvor für acht Tage im Haus gewohnt und dort gearbeitet. Eigentlich war sie mit dem Ziel gekommen, sich seiner Spitalvergangenheit zu widmen. Doch dann kam es anders. Zwar faszinierte Werlen das Innere des Hauses, doch es liess sich nicht bannen. Stattdessen zog es sie hinaus: Auf langen Wanderungen entdeckte sie die Umgebung. Werlen ist weggegangen und wieder gekommen. Sie hat sich dem Haus von aussen angenähert, hat Dinge aus der Natur mitgebracht und mit denjenigen des Hauses verwoben.

Oft lagen Vogelfedern auf Werlens Weg und so war bald ein übergeordnetes Thema gefunden, dass auch eine wunderbare Analogie zum Aufenthalt der Künstlerin darstellte. Sie hatte sich im Haus einen eigenen Arbeitsort geschaffen, sich ein Nest gebaut.

Vögel sind nun das wiederkehrende Motiv in den Zeichnungen, Collagen und Fotografien der Künstlerin. Es gibt Blätter mit Schattenrissen fliegender Vögel, eine Detailzeichnung eines gespreizten Flügels, ein Foto eines ziehenden Schwarms oder eine kleine auf das Papier geklebte Feder. Diese Bilder mischen sich mit ungegenständlichen Darstellungen wie zittrigen Kreisen auf Transparentpapier, kleinen Punkten oder Mustern. Mit Frottagen hat Werlen die Strukturen alter Vorhangstoffe des Spitals festgehalten. Sie hat Ornamente der Bordüren in Stickerei übersetzt und runde Formen aus gelbem Papier geschnitten. Sie korrespondieren mit einer getrockneten gelben Mohnblume.

All dies kommt nicht gleichzeitig in den Blick. Denn wer sich auf die Suche nach der achten Ausstellung der Reihe LeLieu macht, wird nicht so leicht fündig. Ein Grossteil der Blätter ist im alten Spitalaufzug präsentiert. Er besitzt an der Rückseite keine Tür und gleitet somit an der Wand des Gebäudes entlang. Hier nun haben Maren Brauner und Angela Werlen die Papierarbeiten platziert. Zudem hat die Künstlerin eine Zeichnung direkt auf dem Putz realisiert. Sie zeigt die Steinstufen des Treppenhauses im Querschnitt.

Der Betrachter sieht die Kunst während des Auf- und Abfahrens und beim Halt auf den Stockwerken. Bei längerem Aufenthalt löscht sich automatisch das Licht und holt einen so aus Werlens Bilderwelt zurück. Der Ort und die Kunst interagieren hier ebenso wie an anderen Plätzen der Ausstellung. An eine Tür im Untergeschoss etwa hängte Werlen testhalber drei Blätter mit schwarzen Kreisen und Punkten. Sie passten so perfekt zu einer Reihe kreisrunder Bohrungen, dass sie übersehen wurden und nun selbstverständlich bleiben dürfen.

Werlen spielt mit dem, was ist, und dem, was sie dazu gibt. Gelungen ist dies auch mit einem wuchernden Gebilde aus kleinen Papierpyramiden. Wie Waben oder Stalaktiten breiten sich die weissen Faltungen unterhalb der Treppe aus – unscheinbar, hartnäckig und vielleicht für immer. Dies wäre dann eine weitere Spur im geschichtenreichen Haus.