«Vielleicht sollte man öfter weggehen»

by Kristin Schmidt

Schon im Frühjahr des vergangenen Jahres wurde es bekannt, nun ist es soweit: Philipp Egli beendet seine Zeit als Leiter der Tanzkompanie am Theater St.Gallen. Ein Gespräch über Raumgriffe, Fussballfelder und definitive Provisorien.

Vieles hat sich getan seit Philipp Egli 2001 aus Zürich nach St.Gallen kam als neuer Leiter der Tanzkompanie des Theaters, manches ist noch immer pendent. Egli brachte mit seiner Kompanie den neuen, zeitgenössischen Tanz ans Theater, etablierte aus der Raumnot heraus neue Aufführungsorte und sah zugleich Jahr für Jahr verstreichen, ohne eine geeignete räumliche Alternative geboten zu bekommen, wie es beispielsweise die Lokremise gewesen wäre. Da kam der Ruf an die Zürcher Hochschule der Künste im rechten Moment.

Saiten: Sie haben am St.Galler Theater viel bewegt und verändert. Wie blicken Sie auf diese Phase zurück?

Philipp Egli: Ich bekomme momentan viel Dank für meine Arbeit. Scheinbar wurde verfolgt, wo und woran ich arbeite. Vielleicht sollte man öfter weggehen, denn es tut natürlich gut, diese Wertschätzung von vielen Seiten zu spüren. Andererseits hätten wir sicher noch bessere Besucherzahlen gehabt, wenn alle, die meinen Weggang jetzt bedauern, auch zu den Inszenierungen gekommen wären. Wahrscheinlich war es mein Vater, der mir gezeigt hat, worauf es elementar gesehen ankommt: Bei uns im Dorf gab es kein Fussballfeld, sondern nur eine unebene Grube ohne Tore. Die einen wollten der Dorfjugend einen Fussballplatz bauen lassen, die andern – darunter mein Vater – wollten selbst zu Spaten und Schaufel greifen. Selbstverantwortung ist wichtig.

Sie haben in Zürich gearbeitet, in Biel, Lausanne und Brüssel. Welche Qualitäten oder Einschränkungen gab es in St.Gallen im Vergleich zu anderen Städten?

Ich glaube, ich war ein mit typischen Vorurteilen gegenüber St.Gallen behafteter Zürcher. Doch allein schon der Mut seitens des Theaters, sich zu zeitgenössischem Tanz zu bekennen, war überraschend und progressiv. Sicher hatte der eine oder andere im Verwaltungsrat Bedenken, doch nun stehen wir gut da als eine dem Heutigen verpflichtete Tanzkompanie, auch im Vergleich zu anderen Städten dieser Grösse.

Sie haben mit der Kompanie im Rahmen der «Raumgriffe» immer wieder den angestammten
Platz im Theater verlassen.

Die Raumgriffe entstanden einerseits aus Platznot und waren andererseits für das «Off-Publikum» gedacht. Das Publikum ist dann aber trotzdem mehrheitlich aus jenen gewachsen, die auch meine Arbeiten am Theater verfolgten. Angefühlt haben sich die Raumgriffe meist wie freie Projekte. Es musste und durfte viel experimentiert werden und wir haben den jeweiligen Raum zum Bühnenbild gemacht. Dabei spielte auch das Hintergründige eine Rolle, so etwa in der Velowerkstatt die Tatsache, dass es sich um ein Arbeitslosenprojekt §handelt. Bei «Schlafende Hunde wecken» in der Lokremise hatten wir das erste Mal das Gefühl, angekommen und angenommen zu sein. Der anfängliche Kampfgeist war noch spürbar und dennoch war vieles bereits erprobt. Es war ein seltsames «definitives Provisorium», denn es war nie das Ziel, über zwanzig Jahre hinweg Raumgriffe zu machen. Erstens sind spannende Räume nicht unbegrenzt vorhanden, zweitens ging es um die Idee, eine Sparte zu etablieren – das haben wir geschafft. So gesehen ist auch der Tanz im Rahmen der St.Galler Festspiele ein Raumgriff.

Was sind die Schwierigkeiten und Chancen eines solchen Wechsels von der klassischen Bühne in
den künstlerisch unvorbelasteten Raum?

Besonders schön an den Raumgriffen war der Austausch mit Leuten, die hier leben und arbeiten. Als Erstes kam das Theater selbst dran: Das vom Architekten erdachte, bis dahin jedoch zugewachsene Atrium mit dem Stadtpark als Kulisse hat den ersten Raumgriff ermöglicht. Für die Techniker waren die Raumgriffe anfangs ungewohnt. Alles musste organisiert werden, vom Tanzboden über Sitzplätze bis hin zu Strom und Licht. Zugleich durfte das Bühnenbild, der Raum als solcher, nicht zerstört werden. Und scheinbar banale Fragen, wie synchronisierte Probe- und Arbeitszeiten oder sicherzustellen, dass die Feuerwehr während Proben und Vorstellungen einsatzbereit bleibt, brauchten ebenso Erfindergeist wie viel Wohlwollen der Beteiligten.

Immer wieder Thema für das hiesige Tanztheater ist die grosse Mobilität junger Tänzerinnen und
Tänzer.

Ich wollte keine abgestandene Kompanie. Mehr Kontinuität wäre zwar möglich gewesen, aber ich wollte junge Tänzer, die sprühen. Alle suchen Persönlichkeiten ab 25, aber wer soll die denn formen? Es ist mir egal, ob die Leute direkt von der Schule kommen oder schon einiges vorzuweisen haben. Hauptsache, sie sind noch auf der Suche. Es ist eine Bestätigung, wenn meine Tänzer woanders gute Stellen finden, wenn ich im Nachhinein von ihnen höre, dass sie die Zeit in St.Gallen geschätzt haben. Auch Auditions sind ein guter Gradmesser für die eigene Arbeit. Man kennt sich in der Tanzszene untereinander gut und wenn sich herumgesprochen hat, dass es in St.Gallen einen Nährboden für zeitgenössischen Tanz gibt, hat man höhere Teilnehmerzahlen und ein steigendes Niveau an den Auditions.

Sprechen wir noch über Ihre neuen Aufgaben: Sie haben an der Zürcher Hochschule der Künste den
ersten Schweizer Bachelor-Studiengang in Tanz mit aufgebaut und werden Co-Leiter dieser neuen Ausbildung.

Es wird höchste Zeit, dass der Tanz zu einem Beruf und eidgenössisch anerkannt wird. Woanders gibt es solche Studiengänge schon längst. Und dank des nun endlich existenten und in Kraft getretenen Bildungsplanes hat sich auch der unsinnige Graben zwischen klassisch und zeitgenössisch weiter geglättet.Vielleicht sollte man alle sieben Jahre sein Leben ändern. Ich habe das nie bewusst getan, aber es hat sich bei mir so ergeben. Mit 21 habe ich angefangen zu tanzen, mit 28 zu choreografieren, mit 35 bin ich nach St.Gallen gekommen und mit 42 gehe ich wieder und werde die gesammelten Erfahrungen in vorderster Reihe weitergeben können.