St. Gallen: Pipilotti Rist

by Kristin Schmidt

Pipilotti Rist (*1962) bringt die inneren Bilder zum Fliessen. Kleines wird riesig. Grosses wird klein. Inneres kehrt sich nach aussen; Bilder stehen Kopf. Rists Videoarbeiten umfangen den Betrachter. Sie verlassen die zweidimensionale Projektionsfläche und wuchern über Wände, Boden und Decke. Rist erforscht Leib und Sinne und sprengt gleichzeitig die Raumgrenzen. Statt linearer Erzählungen vermitteln ihre Werke komplexe Raum- und Körpererfahrungen. Keine Falte ist zu tief, als dass sich die Kamera nicht ihren Weg bahnen könnte. Doch nie ist die Schweizerin voyeuristisch, nie stellt sie bloss. Liegt es an der Nähe, der Dimension? Daran, dass jeder Betrachter automatisch Teil des Gezeigten wird? Pipilotti Rist lässt die Distanz zwischen dem Körper des Betrachters und dem projizierten Körper schwinden – und sie entwickelt ihr Vokabular ständig weiter. Das Kunstmuseum St. Gallen zeigt dies anschaulich in einer grossangelegten Einzelausstellung.

Einzelwerke von Rist sind regelmässig in internationalen Grossausstellungen zu sehen und begeistern das Publikum dort mit ihrer punktgenauen Inszenierung und ihrer Opulenz. Dennoch oder gerade deswegen tut es gut, den Weg der Künstlerin in der Zusammenschau nachzuvollziehen, angefangen von den frühen Einkanalvideoarbeiten über die ersten Installationen bis zu einem eigens geschaffenen Farblabor.

Schon „Eine Spitze in den Westen – ein Blick in den Osten“ (1992) umfängt den Betrachter, aber noch bleibt das Videobild frontal und begrenzt. Bald breiten sich die Bilder zu Haupt und Füssen des Betrachters aus, oder er wird zur Symmetrieachse einer riesenhaften Spiegelung. In „Administrating Eternity“ (2011) wird er schliesslich in Bewegung versetzt und wandert durch einen wehenden Bilderwald.

Die Grösse und Präsenz der Videobilder lassen mitunter vergessen, dass Pipilotti Rist das Verhältnis umkehren kann. In ihren Rauminstallationen sind Videoprojektionen ein kleiner Teil des grossen Ganzen. Sie schwimmen über Teller oder verstecken sich inmitten dichter Objektlandschaften auf scheinbar beiläufig platzierten Bildschirmen.

Ebenso souverän wie mit der zeitgenössischen Technik vermag Rist auch mit den Alten Meistern umzugehen. Wie schon in Baden rückt sie die Sammlung des Hauses in den (farbenfrohen) Blick. Und ganz ohne Video geht es schliesslich auch: Blütenweiss und vielsagend lässt Rist eine Unterhosengirlande durch den Stadtpark wehen.

Kunstmuseum St. Gallen, Pipilotti Rist. Blutbetriebene Kameras und quellende Räume, 2. Juni – 25. November 2012