Fünfmal Tanz

by Kristin Schmidt

Drei Solostücke, ein Zwei- und ein Vierpersonenstück bringt TanzPlan Ost 2012 an einem Abend auf die Bühne. Jedes der vier Kurzstücke besitzt einen ganz eigenen Charakter.

Die Gesichtsmuskeln zucken, der Mund öffnet sich, der Abend beginnt – mit einem Gähnen. Noch eines und noch eines und schon ist das Publikum mitten im Stück von Stefanie Grubenmann. „Star“ hat die Zürcherin ihr Stück überschrieben und gibt damit bereits den ersten Interpretationsspielraum. Denn als Stars können beide gelten: Die Darstellende, die mit minimalen Gesten und grosser Mimik das ganze Spektrum der Ermüdung auf die Bühne zaubert, ebenso wie ihr imaginäres Gegenüber, das ebendiese Langeweile auslöst. Stefanie Grubenmann lässt Straffen auf Erschlaffen folgen; freundliches Interesse wird besiegt von herzhaft orgiastischem Gähnreflex, der wiederum in eine Arie der Müdigkeitslaute übergeht. Offen thematisiert Stefanie Grubenmann die Grossartigkeit der Langeweile, gegen die alle Medien so unentwegt und zum Glück erfolglos ankämpfen.

Grubenmanns Stück ist an der Grenze von darstellender und bildender Kunst angesiedelt. Dies gilt auch für den zweiten Programmpunkt des Abends: „Wrestle yourself into the ground“ von Philip Amann und Kilian Haselbeck. Das Stück thematisiert existentielle Erfahrungen und offene Spannungsverhältnisse. Die von den beiden Künstlern selbst entwickelte Choreographie ist geprägt durch das Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander zweier Charaktere und Körper. In unterschiedlich langen, durch kurze Dunkelheit voneinander getrennten Sequenzen wird ein reiches Bewegungsvokabular durchgespielt. Es reicht von Elementen des Breakdance über athletische und grazile Formen bis hin zu symbolkräftigen Bildern wie etwa einer angedeuteten Kreuztragung. Abgesehen vom Können der beiden Tänzer begeistert das Stück durch die zwei Akteure auf der Bühne, die in keinerlei Hierarchie zueinander stehen und sowohl kräftemässig als auch tänzerisch einander ebenbürtig sind. Selbst Torkeln und Taumeln wird hier zum Paarlauf. Während das Stück nicht zuletzt auch von der fliessenden Eleganz der Bewegungen lebt, geht „distances within“ von Mirko Guido und Alberto Franceschini bewusst einen anderen Weg.

Der Choreograph und der Tänzer haben gemeinsam eine Choreographie entwickelt, die den Akteur als zwiegespaltenes Wesen zeigt und von einem Sound nahe der Schmerzgrenze begleitet wird. Franceschini bewegt sich repetitiv und tastend, wie fremdgesteuert und fragmentiert. Glieder und Körper wirken voneinander und von einer zielführenden Bewegung losgelöst, während der Tänzer einen Monolog vorträgt. Sobald die Bewegungen fliessender werden, verlischt die Sprache, so als könne nur entweder der Körper oder der Geist funktionieren. Das Stück verzichtet darauf, zu zeigen, was herkömmlich als schön und angenehm empfunden wird, und lotet stattdessen aus, was Menschsein ausmacht. Franceschini tanzt die ungewohnten Bewegungsabläufe mit faszinierender Virtuosität.

Exequiel Barrera hat sich für seine Choreographie „Alberto, der Mann, der geht“ein ganz konkretes Vorbild gewählt. Alberto Giacomettis Skulpturen haben ihn zu einem Stück inspiriert, das von der St. Galler Rotes Velo Tanzkompanie umgesetzt wird. Es spielt mit den Klischees des Künstlerseins und stellt immer wieder zentrale Motive Giacomettis ins Zentrum. Des Menschen Gehen, Schreiten, Stehen wird in verschiedenen Konstellationen durchdekliniert. In einem Intermezzo zu Hildegard Knefs „Ich brauch´ kein Venedig“ wird es zwischendurch auch mal klamaukig.

Einen ganz anderen, doppelbödigen Humor besitzt Nelly Bütigkofer. In ihrem Stück „Counting“ zu Maurizio Kagels „10 Märsche um den Sieg zu verfehlen“ setzt sich die Tänzerin mit den Facetten des Wollens und Scheiterns auseinander. Mit Verve exerziert und marschiert, strauchelt und trampelt sie. Gekonnt zeigt sie den schmalen Grat zwischen forsch und hibbelig, zwischen unsicher und betont lässig, zwischen aufreizend und lächerlich. Runde um Runde dreht Bütigkofer und mimt den Diktator ebenso wie den Kasper, das Kind ebenso wie die gebrechliche Alte. Es ist ein Schaulaufen der Eitelkeiten, das anzusehen pure Freude bereitet.

TanzPlan Ost 2012