Technik versus Kunst?

by Kristin Schmidt

Auf Einladung des Architekturforums sprach Aita Flury über das Verhältnis von Architekt und Ingenieur. Der Vortrag fand als erste Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Landschaften und Kunstbauten“ im Kraftwerk Kubel statt.

Brauchen Architekten Ingenieure? Und umgekehrt?  Vor den Zeiten der industriellen Revolution stellten sich solche Fragen nicht. Baumeister waren Universalgenies und lieferten alles von der Baugestalt über die Tragwerksberechnung bis zur Finanzierung. Erst mit dem Ingenieursberuf etablierte sich die Vorstellung vom Techniksachverständigen auf der einen Seite und dem Architekten als Gestalter auf der anderen Seite – eine Trennung, die weder dem einen noch dem anderen gerecht wird.

Aita Flury beschäftigt sich seit Jahren mit dem Gespräch der verschwisterten Disziplinen. Dabei kann die Architektin einerseits auf eigene praktische Erfahrungen zurückgreifen. Andererseits hat sie sich auch theoretisch mit dem „Dialog der Konstrukteure“ auseinandergesetzt und unter anderem die Publikation „Kooperation“ herausgegeben.

Die Zürcherin beleuchtet nicht nur die Themen und Potentiale der Zusammenarbeit, sondern auch die Grenzen: Auch wenn Interdisziplinarität in aller Munde ist, muss zuallererst das eigene Metier beherrscht werden. Erst dann lässt sich auf hohem Niveau spielen. Es ist kein Zufall, dass Flury darüber im Kraftwerk Kubel spricht. Im Mittelpunkt der Ausstellung im Kraftwerk stehen Kunstbauten, die den Ingenieur Jürg Conzett beeindruckten. Conzett wiederum ist für die ästhetische Qualität seiner eigenen Bauten bekannt. Und er hat mit Flury zusammen an einigen Projekten gearbeitet. Die Architektin stellte einige davon in ihrem Vortrag unter dem Motto „Raum und Konstruktion“ vor. Darunter der Wettbewerbsbeitrag zum Neubau des Naturmuseums St. Gallen. Die Fassade des Entwurfes lebt von Plastizität und Tiefe, sie ist abstrahiertes Behältnis, hatte aber mit der Tragwerkslösung noch nicht zusammengefunden.

Oft sind die glatten Fassadenoberflächen dem Dilemma heutiger Bauanforderungen geschuldet: Fassadendämmung verhindert, dass Strukturen sichtbar sind. Immerhin darf sich St. Gallen rühmen, mit dem neuen Bundesverwaltungsgericht eines der seltenen Beispiele einer statisch tragenden Fassade zu besitzen.

Ist nun aber der Ingenieur ein Dienstleister des Architekten? Aita Flury lässt keinen Zweifel daran, dass es zwischen Ingenieur und Architekten ernste Meinungsverschiedenheiten gibt; und dass sich der Ingenieur in ästhetischen Fragen einmischen kann und soll. Bei der Planung für ein Badhaus in der Taminatherme in Bad Ragaz waren Jürg Conzett die geplanten Kuppeln mit Sternenhimmel viel zu wenig zeitgenössisch. Gemeinsam mit Flury entwickelte er eine abgeflachte Lösung, die in der Ingenieurssprache dann kurz und knapp als „mit Diagonalrippen gestützte Platte“ daherkommt. Der Ingenieur nun also doch als unromantischer Techniker? Mitnichten. Er bringt sein kalkulatorisches Wissen ein und verankert gleichzeitig die Bauwerke typologisch und architekturhistorisch. Architekten können zusätzlich den städtebaulichen Bezug leisten, eine Silhouette etablieren und Passantenflüsse mitdenken. Das Ideal sind Architekten und Ingenieure die gemeinsam für Raumfragen begeistern und zum bewussten Hinsehen anregen.