Das Kornhaus als Kino oder: Die Wut des Gärtners

by Kristin Schmidt

In der aktuellen Ausstellung im Parterre des Kornhauses Rorschach sind Animationsfilme von Michaela Müller und Nino Christen zu sehen. Ausserdem wird der Entstehungsprozess der Filme gezeigt.

Der Papierstapel ist über 30 Zentimeter hoch. Es sind 3´500 Zeichnungen die da auf einem Sockel liegen. Zwölf von ihnen ergeben eine Sekunde Filmzeit, alle gemeinsam den sechsminütigen Zeichentrickfilm „Little Eden“. Sechs Monate lang hat Nino Christen an den sechs Minuten gearbeitet. Michaela Müllers „Miramare“ hingegen ist acht Minuten lang, er basiert auf nicht weniger als 5´000 Einzelzeichnungen mit Temperafarbe auf eine Glasplatte.

Solch eindrucksvolle Fakten bleiben bei Animationsfilmen zumeist im Hintergrund. Die aktuelle Ausstellung des Vereins Kulturfrühling Rorschach holt sie ins Bewusstsein und mehr noch: Anhand der Originalmaterialien wird der Weg von den ersten Skizzen bis zum fertigen Werk gezeigt.

Sobald die erste Idee trägt, entwickeln die Filmemacher die Charaktere, die Figuren. Bei Nino Christen ist das ein ordnungsfanatischer Schrebergärtner. Der St. Galler Künstler hatte auf seinen Bahnfahrten die Kleingartenvereine entdeckt oder vielmehr das, was man von ihnen durch die Zugfenster sah: in Reih und Glied angeordnete Parzellen, gehisste Flaggen, Enge und Abgrenzung. Daraus entstand die Geschichte eines Kleingärtners, der mit seinem Kontrollzwang die Natur nur vorübergehend bändigen kann. Im Animatic, dem gefilmten Storyboard, wird der gesamte Ablauf festgehalten. Die nächsten Schritte sind die Gestaltung der Hintergründe und die Bewegungsstudien, bei denen der Filmer auch schon mal sich selbst abfilmt. Sind schliesslich die Vorder- und Hintergründe zusammengeführt, folgt die Rohfassung. Dann wird der Sound kreiert und hinzugefügt. Vielleicht liegt es ja am visuellen Geschick der Animateurfilmer, dass sogar Tonkonzepte ein Hingucker sein können so wie bei Michaela Müller.

Ihr Film erzählt in fliessenden, malerischen Bildern, wie sich am Mittelmeer Familienurlaub und Migrantenschicksal für einen Moment lang treffen. „Miramare“ hat weltweit 18 Auszeichnungen gewonnen. Das darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass sich Animationsfilmer immer noch in einer Nische bewegen. Oft wird der Trickfilm als lustige Unterhaltung für Kinder gewertet. Dass solche Urteile den Kosmos Animation nicht im Mindesten erfassen, arbeitete Otto Alder anlässlich der Eröffnung der Ausstellung heraus. Der Dozent für Animation an der Hochschule Luzern zeigte das universelle Wesen der Trickfilme auf, das Qualitäten des Spielfilmes weit hinter sich lässt. Der Animationsfilm muss sich keinerlei Gesetzen unterwerfen. Selbst die Schwerkraft kann mühelos umgangen werden. Ein einzelner Künstler kann eine neue Welt erschaffen. Ästhetisch ist laut Alder der Animationsfilm die Symbiose aus Poesie und Karikatur. Letztere verdichtet, reduziert und minimiert, erstere ist verantwortlich für Rhythmus, Symbolik und Metamorphose. Dies lässt sich anhand der beiden Filme aufs Trefflichste studieren. In wenigen Minuten wird der Betrachter in „Miramare“ auf eine Ferienreise mitgenommen, die so manches vertrautes Gefühl weckt und es doch nicht zu behaglich werden lässt. In „Little Eden“ kommen Wohlgefühle von vornherein nicht auf. Und doch stösst der unerbittliche Kleingärtner nicht nur ab. Mitleid stellt sich ein, wenn er in seiner kleinen, begradigten Welt wütet. Hier wird deutlich, was Alder meint, wenn er feststellt: „Animation ist Konzentration der Gefühle“.