Tanz braucht Raum

by Kristin Schmidt

Im Mai wird getanzt. Nicht nur auf der Bühne, aber auch und vor allem dort. Wobei Bühne ein weit gefasster Begriff sein kann, wenn es um zeitgenössischen Tanz geht. Grabenhalle, Lokremise und Pfalzkeller kommen jenen, die in St. Gallen die freie Tanzszene verfolgen, wahrscheinlich am ehesten in den Sinn. Dann gab und gibt es die Auftritte in der Innenstadt oder dem Stadtpark unter freiem Himmel, und in der Vergangenheit wurden auch Schaufenster schon in kleine Bühnen verwandelt.

Sind also Räume und Bühnen in ausreichender Zahl vorhanden? Zunächst einmal muss zwischen Auftrittsorten und Probenräumen unterschieden werden. Doch in beiden Kategorien sieht die aktuelle Lage weniger gut aus, als es der Mai mit Tanzfest, Steps und den Auftritten von Danceloft vermuten liesse.

Wer sich in der freien Szene umhört, erfährt rasch, dass die Zahl verfügbarer, geeigneter und bezahlbarer Räume knapp ist. Beispielsweise bei den Bühnenorten: Zeitgenössischer Tanz braucht viel Platz und eine ansteigende Zuschauertribüne, damit die Dreidimensionalität der bewegten Kunstsparte entsprechend wahrgenommen werden kann. Zudem ist nicht jeder Boden tauglich. In der Grabenhalle beispielsweise müssen nicht nur jeweils die schwerpunktmässig für Konzerte genutzten Bühnenelemente auf die andere Seite versetzt, sondern auch ein anderer Boden ausgelegt werden.

Abgesehen von diesen aufwendigen Umbauten ist es für manch Tanzschaffende interessanter einen offenen Raum zu nutzen, der Interaktion zulässt und einen speziellen Charakter einbringt. So begeistert die Lokremise die Choreographen und Tänzer mit der besonderen Atmosphäre und dem experimentellen Charakter eines ehemaligen Depots. Doch ist St. Gallens Kulturremise gut ausgebucht und oft nur kurzfristig frei, und die Raummiete ist für die freie Szene vergleichsweise hoch, auch Probetage werden berechnet.

Gleichzeitig scheint es wenig sinnvoll, neben der für Tanz- und Theaterprojekte etablierten Lokremise einen weiteren Tanzort in St. Gallen zu etablieren. Viel dringender ist eine starke Koordination, sozusagen eine Verbindungsstelle. Zwar gibt es die ig-tanz ost als Ansprechpartnerin für lokale Tanzkompanien und für Tanzschaffende aus dem gesamten Ostschweizer Raum. Aber der vor 12 Jahren gegründete, gemeinnützige Verein gerät mit den Kapazitäten regelmässig an seine Grenzen. Dabei wurde schon viel erreicht. Die kleine Interessensgemeinschaft hat sich zu einem stetig wachsenden Netzwerk entwickelt. Nicht nur innerhalb der Ostschweiz und dem Fürstentum Liechtenstein hat die ig-tanz dafür gesorgt, dass die Tanzszene sich zusammenfindet. Sie leistet einen schweizweiten Austausch und bietet den Tanzschaffenden in der Ostschweiz regelmässige Profitrainings an, zu denen auch Tanzkünstler und Choreographen aus dem Ausland eingeladen werden.

Auch der TanzPlan Ost ist ein Kind der ig-tanz ost. Der Verein hat das Tanzförderprojekt der Ostschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein ins Leben gerufen und koordiniert es seit 2009. In diesem Jahr startet die zweite Ausgabe des zunächst auf vier Jahre begrenzten Pilotprojektes. Die Fortsetzung steht bereits fest. TanzPlanOst wie das Tanzfest sensibilisieren in der Öffentlichkeit für den Tanz und sprechen die Tanzinteressenten über alle Altersgrenzen hinweg an. Vermittlung ist das Stichwort.

Und einen weiteren Erfolg hat die ig-tanz ost zu vermelden: Seit April gibt es die ig-tanz zentrale: ein Studio im Hauptpostgebäude gegenüber des Hauptbahnhofes, also an zentraler Lage. Hier finden nicht nur die wöchentlichen Profitrainings und Workshops statt. Das Studio kann für Proben, Workshops, Showings und Auditions gemietet werden. Damit ist das Raumproblem nicht beseitigt, aber immerhin angegangen. Zusätzlich arbeitet auch der Nachbarkanton an einer Lösung: Ausserrhodens hat das Ziel, Probe- und Aufführungsräume für Tanz, Theater und Musik bereitzustellen, ins Kulturkonzept aufgenommen und erste Objekte begutachtet. Wenn es dereinst soweit ist, wird auch die St. Galler Szene profitieren, denn in Ausserrhoden ist man sich ebenfalls bewusst, dass Tanz nicht nur Räume braucht, sondern ein Netzwerk.