Assoziativ und suggestiv

by Kristin Schmidt

Prisca Fritz stellt ihre Arbeiten in der Galerie vor der Klostermauer aus. Die Präsentation zeigt einen Überblick über ihr aktuelles Schaffen.

Ein Paar, kaum bekleidet, beieinander sitzend. Das Bild ist äusserst reduziert, doch das Wenige lässt erahnen, dass hier Mann und Frau an einem Strand sind, gemeinsam auf einem quadratmetergrossen Handtuch. Sie hat ihre Schuhe abgelegt, aber eine Kappe auf, er eine Sonnenbrille und schaut in die Ferne. Alles andere bleibt offen, alles andere ist auch nicht wichtig. Prisca Fritz fokussiert auf die Menschen und ihr Miteinander, oder in diesem Falle ihr Nebeneinander: Denn obgleich die Gesichter der beiden Dargestellten einander zugewendet sind, schauen sie sich nicht an. Neben diesem kompositorischen Detail sind es besonders die Farben des 48teiligen Acrylgemäldes, die Zweifel an dem aufkommen lassen, was der Titel verheisst: „Harmonie“.

Prisca Fritz geht nach einem ausgeklügelten Schema vor. Jedes Teilbild basiert auf genau vier Farben, eine den (Hinter-)Grund, eine für Handtuch und Haare, eine für die Haut, eine für Kappe, Kleidung und Schuhe. Auf Binnenzeichnung und Schattierungen wird verzichtet, stets stossen monochrome Flächen unterschiedlicher, aber stets intensiver Farbigkeit aneinander. Kontraste, wohin das Auge blickt. Prisca Fritz findet mit diesem Werk einen experimentellen, ganz eigenständigen Ausdruck. Es gehört damit zu den stärkeren Arbeiten in ihrer Ausstellung „Sichtbar machen“ in der Galerie vor der Klostermauer.

In diese Kategorie fällt ein weiteres mehrteiliges Werk: Auf acht kleinen Tafeln hat die St. Gallerin Beobachterblicke eingefangen. Die Porträts namenloser Personen besetzten jeweils das obere reichliche Bilddrittel, der übrige Teil ist weiss belassen. Männer wie Frauen in einem unbestimmten hellblauen Raum schauen über eine unsichtbare Brüstung nach unten. Wo befinden sie sich? Wen oder was beobachten sie? Und warum? Die sorgfältig aufgebauten Gemälde lassen alles offen, schade nur, dass der Titel „Stalker“ diese Offenheit etwas eindämmt, indem er ungute Absichten der Dargestellten suggeriert. Dies vermeidet Fritz mit dem Titel „Maske“ bei einem dreiteiligen Werk. Hier sind Frauenporträts mit verhülltem Gesicht zu sehen. Nur die Augen und der Mund bleiben unbedeckt. Die Ölgemälde entstanden kurz vor der Burkadebatte in der Schweiz und könnten durchaus in diesem Zusammenhang gelesen werden. Gleichzeitig zeigen sie die Vieldeutigkeit der Gesichtsverhüllung, sind erinnern sie doch auch an die Sturmhauben, die von Töfffahren ebenso getragen werden wie von extremistischen Demonstranten, oder auch an die Masken der BDSM-Szene. Diese Vieldeutigkeit wird durch den Bildtitel nicht eingeschränkt und durch die Farbigkeit der Vermummung – hellgelb, rosa oder dunkelbraun – noch unterstützt.

Prisca Fritz betont, ihre Ausstellung in der kleinen Galerie nach inhaltlichen Kriterien gehängt zu haben. Im Erdgeschoss die „lauten Arbeiten“ im oberen Geschoss die „leisen Bilder“. Auch hier schränken die Kategorien eher ein, denn so betrachtet liessen sich die Masken durchaus im unteren Stockwerk einordnen und die Werke „Akt, eine Treppe herunter steigend“ im oberen. Wer bei diesem Titel an ein oder zwei bedeutende Werke der Kunst des 20. Jahrhunderts denkt, ist damit auf dem richtigen Wege. Fritz ist für ihre Collagen zunächst von der gleichnamigen Serienfotografie Eadweard Muybridges ausgegangen, hat sich bei Marcel Duchamp umgesehen und auch Gerhard Richters „Ema (Akt auf einer Treppe)“ nicht vergessen. Ganz unbeeindruckt von der grossen Vorgeschichte des Motives entwickelt Fritz fragile Collagen, die den Bewegungsablauf beinahe filmisch nachvollziehen, und versucht sich einmal mehr in einem eigenständigen Ausdruck.