Sein und Verschwinden

by Kristin Schmidt

Das Nextex zeigt in seiner aktuellen Doppelausstellung Werke von Katharina Anna Wieser und Doris Schmid. Ausserdem hat die St. Galler Künstlerin Elisabeth Nembrini eine neue Installation in der Nextex-Bar eingerichtet.

Die Räume sind klein, die Decken niedrig, die Durchgänge schmal. Das Nextex hat nicht gerade ideale Bedingungen, um zeitgenössische Kunst auszustellen, doch der besondere Charakter des Ortes erweist sich immer wieder als Glücksfall, vor allem dann, wenn eine Künstlerin mit ihm umzugehen weiss. In diesem Falle Katharina Anna Wieser. Die Baslerin analysiert die architektonische Grundform, die Struktur und Grösse von Räumen wie auch ihre Geschichte und Funktion. Davon ausgehend arbeitet sie sich an das Wesen des Raumes heran, macht es sichtbar und erlebbar.

Will der Besucher die aktuelle Ausstellung im Nextex betreten, scheint ihm dies zunächst verwehrt. Eine schräg angeschnittene, im Zickzackmuster mit den St. Galler Farben Rot, Weiss und Schwarz bemalte Barriere verstellt den Weg – und fordert eine Entscheidung: Zwischen Wand und Holzkonstruktion öffnet sich ein schmaler Spalt, gerade breit genug, um sich seitlich hindurchzuzwängen. An der Aussenkante der Arbeit bietet sich ein breiterer Durchgang an. Wer diesen nimmt, gelangt zur Innenseite eines frei im Raum stehenden Winkels aus zwei Stellwänden und sieht sich Weiss und von fallenden Linien umgeben. Das Auge versucht eine Horizontale oder Vertikale auszumachen, doch Wiesers Werk zeigt, dass es diese hier nicht gibt. Alles ist schief, der Fussboden, die Decke, die Balken. Auch der Winkel ist kein rechter. Zudem scheint er in seinen Halterungen zu kippen.

Mit ihrem Werk erweist Wieser nicht nur der Schräge des Raumes Referenz, sondern auch der Farbe der Fensterläden auf der Rückseite des Hauses, der Farbe des Erkers auf der Vorderseite, der früheren Farbe der Balken und dem einzigen Zierelement im Raum. Die Künstlerin hat ein mannigfaltiges Bezugssystem erarbeitet, das seinen Ausdruck auch im vieldeutigen Werktitel „Blende“ findet. Mit sprachlichen Mehrdeutigkeiten arbeitet auch Doris Schmid. Es wäre zu kurz gegriffen, den Werktitel „Projektionen“ nur auf die technische Abbildung der Videobilder auf der Wandfläche zu beziehen. Einiges mehr steckt in diesem Begriff bezogen auf die fiktive Lebensgeschichte einer 1919 geborenen Frau. Schmid folgt bruchstückhaften Spuren einer möglichen Biographie von Berlin über die Schweiz nach Athen und bewahrt sich dabei grosse Offenheit, die wiederum Freiheit für Interpretationen und eben Projektionen bietet. Selbst wenn im Video Personen oder Orte zu sehen sind, bleiben sie entrückt, rätselhaft, vage, denn die in Wien lebende Künstlerin bildet nicht einfach ab oder dokumentiert, sie entwirft neu. Sie überlagert Sequenzen, indem sie gefilmtes projiziert und erneut abfilmt. Sie verwendet fotografisches Material, Zeitraffer- und Zeitlupenaufnahmen, sie mischt Video und Film. Überdies ist die Tonspur mit einem unaufgeregten, fein komponierten Dialog aus der Werkstatt des Zürcher Autors Lorenz Langenegger verwoben. Einfühlsam spürt Schmid dem Verschwinden nach und bewahrt ihre Protagonistin davor.

Die dritte Arbeit im Nextex ist gleichzeitig eine vierte: die Barintervention # 4 von Elisabeth Nembrini. Die St. Galler Künstlerin beleuchtet den wenige Quadratmeter grossen Raum durch drei Zeichnungen. Sie wurden in weiss bemalte Folien gekratzt und strahlen nun mit Hilfe dreier Hellraumprojektoren von der Wand. Auch sie sind mehrdeutig und fügen sich aufs Beste zur Doppelausstellung von Schmid und Wiesner. Der Wellensittich etwa hat in seiner Grösse und Pose nur noch wenig gemein mit dem zahmen Tierchen im Vogelbauer und das Wort „Blue“ eröffnet weite gedankliche Räume und holt die ganze Welt in die fensterlose Kammer.