Überblendet und collagiert

by Kristin Schmidt

In der aktuellen Ausstellung der Reihe Kultur im Bahnhof sind Werke von Franziska Arnold und Mirjam Kradolfer zu sehen. Sie zeigen unter dem Titel „Nach ihnen… vor mir“ Buchcollagen und Fotografien.

Ein Buchumschlag ist eine Verheissung. Er verspricht Wissenswertes oder Unterhaltendes, Erbauliches oder Spannendes, Texte oder Bilder. Er verweist deutlich oder hintergründig auf die buchgebundenen Informationen oder Gedankenwelten. So lässt etwa die süssliche, harmlose Titelzeichnung für „Himmelchen im Internat“ einen problemfreien Kinderroman der fünfziger Jahre vermuten. Doch ein Blick zwischen die Buchdeckel offenbart ganz anders: Keine Buchseiten, keine Schilderungen der Irrungen und Verwirrungen im Internat, sondern eine Gastroquittung, eine Gutschein der Raststätte Heidiland, ein Rahmdeckeli, Fotos.

Franziska Arnold überarbeitet Bücher, genauer: sie nimmt dem Buch ihren ursprünglichen Inhalt und fügt eigene Assoziationen hinzu: „Ich weide derzeit Bücher aus und schenke ihnen neues Leben. Erst tut es ein bisschen weh, wenn ich mit dem Teppichmesser ans Werk gehe, aber dann können sie aufgeklappt und mit neuen Inhalten befüllt werden.“ Franziska Arnolds Arbeit beginnt bereits bei der Auswahl der Bücher. So werden beispielweise auch problematische Werke nicht ausgeklammert, etwa nationalsozialistische Propagandabücher. In diesem Falle polen Arnolds Überarbeitungen mit farbigen Kunststoffelementen die Vorlagen um, die neuen Inhalte abstrahieren und persiflieren das Ursprüngliche. In anderen Fällen arbeiten sie die Essenz des Vorherigen heraus oder aktualisieren die Bücher. In der aktuellen Ausstellung im Rahmen von Kultur im Bahnhof lässt sich das allerdings nicht in jedem Falle nachverfolgen, denn die Vitrinen stehen mitunter so, dass sie nicht umrundet werden können und damit nicht alle Buchumschläge sichtbar sind.

Einige der Buchcollagen sind eigens für die Ausstellung entstanden. Es sind jene, in denen die Künstlerin aus Hannover auch Fotos ihrer selbst eingeklebt hat. Die überarbeiteten  Bücher werden damit nicht nur zu rätselhaften Tagebüchern, in denen sich Realität und Fiktion mischen, sie reagieren auch ganz direkt auf die Arbeiten von Mirjam Kradolfer. Die St. Galler Künstlerin zeigt inszenierte Selbstporträts. Bereits im Sommer waren in einer Einzelausstellung in Katharinen Fotografien aus dieser Serie zu sehen. Kradolfer zitiert einmal mehr Zitate, die sich in ihrer Art des Zitierens selbst bereits auf Vorläufer beziehen.

Cindy Sherman untersuchte mit ihren Selbstporträts nach Gemälden von Holbein, Caravaggio oder Raffael Fragen nach Autorschaft, Originalität und Wertschöpfung. Kurz danach, Anfang der 1990er Jahre, reagierte Yasumasa Morimura unmittelbar auf Shermans Fotografien. Er thematisiert in seinen Rollenwechseln nach Gemälden oder Fotografien von Stars aber eher Fragen der Geschlechts- und der kulturellen Identität und die Selbstwahrnehmung. Kradolfer bezieht sich konkret auf Morimura und nimmt dessen Werke als Vorlage. So blicken aus van Goghs Selbstporträt mit verbundenem Ohr und Pfeife weder der holländische Künstler, noch der Japaner, sondern Mirjam Kradolfer. Wie schon in der Ausstellung in Katharinen drängt sich auch diesmal der Eindruck auf, dass die Künstlerin den gewählten Vorlagen wenig Eigenes hinzufügt. Viel spannender wirken da die Fotografien mit mehrfach überblendeten Motiven, in denen steinerne Locken das verrätselte Gesicht der Künstlerin rahmen, oder jenes dichte Vegetationsbild, in dem das Grün nur so wuchert, aber im Hinter- und Vordergrund vage Andeutungen von Architektur oder einer milchigen Glasscheibe enthält. Hier wie auch in den Strumpfmaskierungen findet Kradolfer wieder zu einer individuellen Formensprache und eigenen künstlerischen Ansätzen.