Sitzende und Besetzer

by Kristin Schmidt

Claudia Valer präsentiert in der Galerie vor der Klostermauer aktuelle Arbeiten. Sie übersetzt Zeitungsfotos in differenziert ausgearbeitete Malerei.

Die Galerie vor der Klostermauer rückt für einmal noch näher an das geistliche Leben heran. In ihrem Obergeschoss treffen sich acht kirchliche Würdenträger zur Krisensitzung. Sie füllen den kleinen Ausstellungsraum mit ihrer ehrwürdigen Präsenz und zwingen den Betrachter zum Innehalten. Was ist der Zweck dieses Treffens? Was geht vor in diesen schwarzgekleideten Gestalten mit scharlachrotem Pileolus? Ihre Gesichter wirken verschlossen oder traurig, vorwurfsvoll oder indifferent, kritisch oder zynisch.

Der Anlass des Treffens war 2008 der Protest gegen die Reformpolitik des spanischen Ministerpräsidenten Zapatero. Claudia Valer hat die Kardinäle einem Zeitungsfoto entnommen und die kleinformatige Abbildung in sieben Gemälde übersetzt. Dabei lag ihr besonderes Augenmerk auf den Gestalten. Wie bereits in vergangenen Werkserien hat Valer den Hintergrund weiss belassen. Dadurch tritt die Monumentalität der Porträtierten noch stärker in den Vordergrund. Gleichzeitig löst sie die St Galler Künstlerin mit ihrem malerischen Copy-Paste-Verfahren aus dem ursprünglichen Kontext.

Wie selbstverständlich sind die Kardinäle in den Galerieraum übergetreten und umzingeln auf drei Wänden den Betrachter. Aber nicht nur das Sujet bannt den Blick, es ist auch die Malerei selbst. Claudia Valer trägt die Ölfarbe lasierend auf. Mit feinem Farbauftrag moduliert sie die Gesichtspartien. Die schwarzen Mäntel hingegen wirken mit ihrer sparsamen Binnenzeichnung wie homogene Flächen. An einigen Stellen und besonders an den Rändern sind sie in Auflösung begriffen. Die Farbe fliesst herunter, schwarze Rinnsale hinterlassend.

Auffällig ist auch die Präsentationsform: Die leicht ausfransenden Leinwände sind nicht gerahmt und nur mit kleinen Nägeln an die Wand gepinnt. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass sich diese malerischen und formalen Details inhaltlich deuten lassen, umso mehr als bei den Porträtierten im Erdgeschoss keinerlei Auflösungserscheinungen zu sehen sind. Auch sie entstammen sämtlich Zeitungsfotos. Aber es sind Vertreter verschiedener Demokratiebewegungen.

Da ist etwa der libysche Junge mit dem wachen, kritischen Blick, oder der zu den Indignados, den Empörten, gehörende junge Mann mit über dem Kopf verschränkten Armen. Auch zwei bekannte Gesichter finden sich unter den Dargestellten: Camila Vallejo, die junge Anführerin der chilenischen Studentenproteste, und Julia Timoschenko, die ukrainische Oppositionsführerin.

Obgleich die Vorlage der Gemälde jeweils ein Foto ist und somit von vornherein eine bildliche Barriere zwischen Künstlerin und Dargestellten besteht, gelingt es Valer immer, die Wesenszüge der Porträtierten herauszuarbeiten. Durch die Umsetzung eines kleinen Zeitungsbildes in ein viel grösserformatiges Gemälde und die damit verbundene Aufmerksamkeit für die Abgebildeten gibt sie ebendiesen Personen einerseits ein Stück ihrer Individualität zurück. Andererseits enthebt sie das Sujet dem schnelllebigen Medium und würdigt die Bedeutung des Einzelnen über die Tagesaktualität hinaus. Dies funktioniert auch ganz ohne goldenen Rahmen. Zwei der Gemälde sind gerahmt und die ornamentierten Zierleisten passen verblüffend zu Timoschenkos Frisur oder der ägyptischen Muslimin. Dort jedoch, wo Valer auf Rahmen verzichtet, wird der Ausschnittcharakter des Bildes betont. Es erhält mehr Raum, um sich auszubreiten und im Sinne des Ausstellungstitels die ganze Wand zu besetzen. Denn den „Homo sedens“ versteht Valer nicht nur als den Sitzenden, Undynamischen, sondern auch sein Gegenteil, den Besetzer, den, der mit seiner Sitzblockade etwas bewegt.