Knipsen auf hohem Niveau

by Kristin Schmidt

Für seine aktuellen fotografischen Arbeiten erhält Hugo Borner einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen. Ein Atelierbesuch bei einem Künstler mit Kamera.

Notkersegg ist ein überschaubares Quartier. Die Parzellen sind klein und die Hecken niedrig. Die meisten jedenfalls. Es gibt auch jene übermannshohen Wände aus Tujagewächsen, die gerade so noch den Blick auf das Dachfenster des dahinterliegenden Hauses freilassen. Es gibt Vorgärten in denen es so wuchert und spriesst, dass das Haus dahinter einzuwachsen scheint. Doch da blitzt plötzlich ein Kupferblech hervor, strahlt für einen Moment lang in der Sonne. Es sind jene überraschenden Details, die Hugo Borner faszinieren und die er drum fotografiert. Unspektakuläre Dinge, Alltägliches, die Umgebung, in der er sich bewegt, die Menschen, die ihm nahe sind.

Der St. Galler Künstler lebt und arbeitet seit drei Jahren im Notkersegg. Mittlerweile ist der Fotoapparat sein ständiger Begleiter, kein hochtechnisiertes Profigerät, sondern eine kleine Taschenkamera. Dies passt sowohl zu seinen Sujets wie auch zu seiner Art zu fotografieren. Der Künstler selbst nennt es ganz unbefangen „knipsen“ – ein mittlerweile verpönter Begriff, bei dem Borner aber zurecht keine Berührungsängste hat. Den entscheidenden Aspekt hat Dürrenmatt so formuliert: „Jeder kann knipsen… Aber nicht jeder kann beobachten. Fotografieren ist nur insofern Kunst, als sich seiner die Kunst des Beobachtens bedient… Auch die Wirklichkeit muss geformt werden, will man sie zum Sprechen bringen.“ Hugo Borner beobachtet. Und er wählt aus.

Das spontan aufgenommene Foto, jener intensive Moment des Auslösens ist nur ein Schritt auf dem Weg zum guten Bild. Wichtig ist es ebenso, die formalen wie auch die inhaltlichen Kriterien nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn beide den Fotografen überzeugen und darüber hinaus auch die Stimmung des Bildes passt, dann schafft es das Foto in jene Auswahl, die Borner für spätere Ausstellungen vorbereitet. Zwar wird jedes Foto als Einzelbild verstanden, doch der Künstler richtet grosses Augenmerk auf das Zusammenspiel einzelner Motive, auf Kontraste und Übereinstimmungen, auf überraschende inhaltliche Parallelen und Farbharmonien. Hierin zeigt sich Borners zweite Passion. Seit einigen Jahren erarbeitet er Farbkonzepte für Innen- und Aussenräume. Schulen, eine Sporthalle, ein Alterszentrum, ein Tiefgaragenzugang oder Mehrfamilienhäuser – gemeinsam mit Architekten und Bauherren entwickelt Hugo Borner Gestaltungsideen, die weit mehr sind als Dekoration. Sie akzentuieren Gebäudeteile, ermöglichen Orientierung, lenken die Schritte und Blicke, und vor allen Dingen  schaffen sie Atmosphäre.

Wer sich umschaut im Atelier, bemerkt von Borners Farbarbeit zunächst nicht viel. Alles ist verstaut in Grafik- und Rollschränken. Zwei riesige Schreibtische und helle Töne dominieren. Borner hält sich den Blick frei, hier lenkt nichts ab vom Denken und Tun. Nur wenige Fotografien sind zu sehen. Doch sobald Borner Bild um Bild hervorholt, entspinnen sich reiche Assoziationsketten. In eine wohldurchdachte Reihe gebracht, beginnen die Fotografien zu erzählen. Die Rutsche neben der Sonnenblume, die Zugpassagiere neben dem Brückenpfeiler – plötzlich lassen sich spannende formale Parallelen entdecken und immer wieder fallen die Farben ins Auge. Ein gelber Tisch, eine Badezimmerszene, eine Frau in einem Zimmer. Auch letzteres ein Schnappschuss, der in seinem perfekten Aufbau an ein wohldurchdachtes Interieurgemälde eines romantischen Malers mit einem Schuss Vermeer erinnert. Immer wieder gelingt es Borner, solche Momente zu sehen und zu erfassen. In ihrer Gesamtheit eröffnen sie einen Bilderkosmos. Sie beschreiben ein Lebensgefühl – individuell geprägt, aber voller Anknüpfungspunkte für den Betrachter.