Forgotten oder Unvergessen

by Kristin Schmidt

Das Leipziger Künstlertrio FAMED stellen als erste Artists in Residence in der Lokremise aus. Unter dem Titel „Vor den Dingen, nach dem Affekt“ zeigen sie ihre aktuellen Arbeiten.

John Armleder hat die Lokremise eingeleuchtet, Norbert Möslang hat das weltweite Netz hereingeholt, FAMED richten sie wohnlich ein. Fast. Vom Büchergestell über die Topfpflanze bis zur Zimmertür ist alles vorhanden und doch alles etwas anders als gewohnt. Zum Beispiel das Büchergestell: Zwar ist es das meistverkaufte seiner Art, doch hier taugt es kaum zur Präsentation der Hausbibliothek. Eine Handbreit über dem Boden schwebend ist es vom Gebrauchsgegenstand zum Objekt mutiert, das einer genaueren Untersuchung harrt. So offenbart es teilweise sein Innenleben, das Pressspanmaterial. Zudem wurde das Standardmass skaliert, so als müsse sich das für übliche Wohnraumhöhen konzipierte Gestell etwas strecken, um ein der Lokremise würdiges Mass anzunehmen.

Wenn FAMED am Werk sind, geht es jedoch um mehr als den Blick auf Material und Dimension. Das Leipziger Künstlertrio spielt mit vielfältigen Bezugssystemen. Eines davon ist die Kunst selbst. Unschwer ist Sebastian M. Kretzschmars, Kilian Schellbachs und Jan Thomanecks Affinität zur Minimal Art zu übersehen. Dies gilt sowohl für Form und Struktur des hochgehängten Gestells wie auch für jene Lampe, deren Kabel einmal vom Boden bis zur Decke und wieder zurück reicht. Immer wieder sind es diese beiläufigen Transformationen des Alltäglichen, die des Betrachters Aufmerksamkeit fesseln: Wohin führt jene Tür hoch oben, doch unerreichbar ohne Treppe? Wie kommt das Buch in die Wand? Ein schmales Bändchen ist es nur, doch wie eine Ikone prangt Guy Debords „Gesellschaft des Spektakels“ inmitten der schwarzen Wand. Die radikale Kapitalismus- und Konsumkritik ist selbst zum Bild geworden.

FAMED brauchen wenig, um viel auszudrücken: Der weit über Kopfhöhe verkehrtherum aufgehängte Diaprojektor mit den herausgefallenen Lichtbildern „Entarteter Kunst“ bringt subtil auf den Punkt, was anderswo ganze Ausstellungen nicht schlüssig zu vermitteln vermochten. Kretzschmar, Schellbach und Thomaneck öffnen mit kleinen Gesten grosse Bedeutungsräume und sind dabei noch wunderbar poetisch – ob mit wehender Zimmerpalme, mit dem heimwehgeplagten Autostopper, der plötzlich in einem schwarzen Bild auftaucht, oder selbst mit den grossen Lettern vor der Lokremise. „Unsaid. Unseen. Forgotten.“ verkünden sie. Resignation? Nein. Irritation? Gern. Zumal der gemeinsame Künstlername das Gegenteil verspricht und auch die Lokremise das Gegenteil des Vergessenseins erlebt.

LOK Zeitung No. 2 (Juni, Juli, August 2011)