Weiss, ja weiss ist alles

by Kristin Schmidt

Der Verein Kulturfrühling Rorschach lädt zum dritten „Rendezvous Ostschweizer Kunstschaffender“. Diesmal sind im Kornhaus eigens entwickelte Werke von Bruno Steiger und Jürg Rohr zu sehen.

Rorschach war schweizweit einer der wichtigsten Umschlagplätze für Getreide und das zu diesem Zwecke erbaute Kornhaus bestens ausgestattet. Heute erinnert wenig an diesem Bau an jene grossen Zeiten im 18. Jahrhundert. Nicht einmal mehr die architektonischen Details selbst fallen mehr ins Auge – es sei denn man betritt die aktuelle Ausstellung aus der Serie rendezvous im Erdgeschoss des Kornhauses.

In der Mitte des Raumes erhebt sich eine komplexe geometrische Form, zusammengesetzt aus unzähligen gefalteten Papierstreifen. Sie sitzt nur in wenigen Punkten auf dem Boden auf, breitet sich in den Raum hinaus aus, verjüngt sich, streckt sich zum Deckengewölbe und findet hier ihre Entsprechung in der Laibung, den Lisenen und Graten des Barockbauwerkes.

Jürg Rohr versteht seine Skulptur als Fragment, als einer der vielen Zwischenzustände auf dem Weg zur Kugel. Ursprünglich untersuchte der Teufener verschiedene Konstruktionsideen , die ihn zur endgültigen Form führen könnten. Er experimentierte, bastelte und baute und erfand sein eigenes Modulsystem. Er probierte aus, welches der beste Winkel ist und wie stabil die Streifen zueinander gefügt sein müssen, dass sie tragen. Bald realisierte Rohr, dass der Prozess ihn mehr interessierte als ein mögliches Endergebnis. Und so ist das ausgestellte Werk zwar nicht vollendet, aber zumindest doch abgeschlossen.

Die Frage nach dem grossen Ganzen tritt in den Hintergrund, weit spannender sind die Details der Skulptur und ihre Wechselwirkung mit dem Raum. Es sind die Schattenspiele der gefalteten Kartonbahnen, die Transparenz, die Gitterstruktur, die ins Auge fallen. Dann wandert der Blick von der Arbeit weg, hin zu den Fenstergittern und Fensterkreuzen. Plötzlich sind sie zum ersten Mal wirklich präsent. Genauso die unverspachtelten Fugen in den provisorischen Wänden, welche die ehemals offene Halle im Erdgeschoss unterteilen und sonst kaum wahrgenommen werden.

Diese Wände wie auch die Gesamtstimmung des hellen Raumes sind auch in den Werken Bruno Steigers Thema. Der St. Galler Künstler hat von seinem Atelieraufenthalt in Kairo die Idee mitgebracht, Formen zu visualisieren, deren Konturen Zufallsprodukte und nur schwer fassbar sind. Damals malte er mit Öl auf A4-Blättern und zeichnete auf der Rückseite die entstandenen Formen und Figuren nach. Im Kornhaus hat er weissen Muschelkalk an die eine und flüssige, weisse Leimfarbe an eine andere weisse Wand geworfen und mit Graphitstift umzeichnet.

Alles ist weiss und doch nicht weiss. Nuancen werden sichtbar, Schattierungen, Reflexe, die Licht- und Schattenflächen im Gewölbe und an der Bretterwand im Hintergrund des Raums, der fast weisse Himmel über dem Bodensee, das helle Grau der Wasseroberfläche. Wie Wasserflecken muten auch die mit den zarten Graphitlinien umrissenen Kalk- und Farbkleckse an, oder wie Kontinente, oder wie Vegetation. Steiger bietet den Betrachtern seiner Arbeit eine breite Projektionsfläche an. Die eigenen Seherfahrungen werden jeden auf eine andere Fährte führen, der er oder sie sich laut Ausstellungstitel gern hingeben darf, denn „Gedanken führen zu nichts, das ist das Schöne an Ihnen.“ Oder?

Bruno Steiger und Jürg Rohr haben die Gedanken und die Situation vor Ort zu einer stillen, klaren Präsentation angeregt. Sie haben das Kornhaus und seine Umgebung genauestens in Augenschein genommen und als Ausgangspunkt der eigenen Arbeit genutzt. Und so wird das imposante Bauwerk in der dritten Ausstellung in der rendezvous-Reihe zum direkten Mitspieler.