Irritationen im Paradies

by Kristin Schmidt

Die aktuelle Doppelausstellung im Nextex entführt in  tropische und utopische Welten. Blue Curry und Monica Ursina Jäger zeigen ihren Blick auf heutige Lebenswelten.

Die üppige Vegetation rauscht im Wind, ein riesiger Palmwedel beschirmt das Haupt, eine leibhaftige Kokosnuss ist zum Greifen nahe. Ist hier die Südsee? Oder ihre Imitation in einer grossstadtnahen Erlebniswelt? Weder noch: Mit solch exotischen Zutaten wartet die aktuelle Ausstellung im Nextex auf. Werden sie jedoch von Blue Curry verwendet und zusammengestellt, so entsteht daraus nicht etwa ein Abbild des tropischen Arkadien, sondern eher das Gegenteil.

Der Londoner Künstler mit karibischen Wurzeln untergräbt die Fantasien von der ursprünglichen, unberührten, von der glückverheissenden Ferne. Was er dafür braucht, liefert ihm das Paradies selbst, wie etwa jenen überdimensionalen Palmwedel. Sogar der Staub darauf ist echt. Aber ist es der Zweig ebenfalls? Er ist echt, und doch auch wieder nicht. Seine steifen, immergrünen Blätter stammen von einem als Palme getarnten Telefonmast. Den Schlüssel dazu liefert das Video von der „Entdeckung des Palmtelefonmastes“. Die Kamerafahrt durchs dichte Grün lässt bald erahnen, dass mit einem der Baumriesen etwas nicht stimmt. Ganz anders als die Schornsteine, die im 19. Jahrhundert in Pseudominarette verwandelt wurden, will der Mast nicht auffallen und tut es doch. Starr steht er da, unbelebt, fremd und doch ganz selbstverständlich dazugehörend – schliesslich ist auch in der Karibik das Mobiltelefon aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Blue Curry filtert Irritationen aus dem unermesslichen Bilderangebot seiner Heimat oder konstruiert sie selbst. Zum Beispiel aus Windlichtern, farblich passenden Reinigungsschwämmen, einer Schlangenhaut und zwei Bügelbrettern. Die Zusammensetzung erinnert an jene berühmt gewordene Stelle aus Lautréamonts „Gesängen des Maldoror“, die „das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ schildert. Doch während die Surrealisten darin den Ausgangspunkt für ihre Traumwelten jenseits der Realität sahen, hinterfragt Blue Curry die realitätsfernen Vorstellungen von vermeintlich existierenden Traumwelten. Genau an dieser Stelle treffen sich seine Werke mit jenen Monica Ursina Jägers. So arbeitet die in London und Zürich lebende Künstlerin beispielsweise mit schwarzen Kunststoffdornen, hergestellt um Einbrecher von privaten Paradiesen fernzuhalten. Die Dornen sind auf einer kreisrunden Fläche kopfüber angeordnet und illuminiert. Die Künstlerin führt die Bedrohlichkeit ad absurdum, ohne über der Ästhetik das aggressive Potential aus den Augen zu verlieren. Wirkungsvoll, aber niemals plakativ spielt sie beides gegeneinander aus. Solche Konfrontationen sind ein Schwerpunkt ihrer Skulpturen und Tuschezeichnungen mit Pigmenttransfer.

Auf grossformatigen Blättern kombiniert Jäger Versatzstücke aus Architektur und Natur. Leider ist in der Ausstellung nur Platz für zwei dieser Papierarbeiten. Auf einer setzt sie einen Handlauf und Stufen in eine düstere Grotte. Wer baute ihn? Zu welchem Zweck? Für wen? Fragen, die sich leicht modifiziert auch anhand des zweiten Blattes stellen. Hier treffen engagierte Sozialwohnungsprojekte und gesichtslose Hochhäuser, Baumriesen und biomorphe Strukturen aufeinander. Die Perspektiven wechseln, Treppen führen ins Nichts, Fragmente stossen an die grosse weisse Leere. Menschen tauchen nicht auf. Die Künstlerin lässt offen, wie die stadtplanerischen Einfälle bei jenen ankommen, für die sie gedacht sind. Und so liegt es am Betrachter, die utopischen urbanen Landschaften weiterzudenken, sie in Bezug zu setzen zu Bekanntem und eigene Standpunkte zu Stadt- und Lebensvisionen beziehen.