Von Pittsburgh nach St. Gallen

by Kristin Schmidt

Seit zwei Jahrzehnten steht die Schule für Gestaltung St. Gallen in regem Austausch mit der Carnegie Mellon University Pittsburgh. Aktuell absolvieren Allison Lenz und Nicholas Abele ein Semester in der Grafikfachklasse.

In der ersten Etage des GBS St. Gallen ist es still. Hier hat die Schule für Gestaltung ihre Räume. Über den Klassenzimmern liegt die konzentrierte Ruhe der angehenden Grafiker. Es wird gezeichnet, mit dem Cursor, dem Stift oder Kohle, es wird geklebt, geschnitten, konstruiert, gebaut und fotografiert. Für letzteres ist Allison Lenz eigens auf einen Stuhl geklettert. In halsbrecherischer Weise beugt sie sich über den Tisch, vor ihr liegen auf einem weissen Blatt die Zielobjekte. Am Tisch neben ihr beugt sich Nicholas Abele mit einem Stift in der Hand über die Arbeitsplatte.

Beide, Allison Lenz und Nicholas Abele, sind genau wie die anderen zehn Studierenden in ihrer Arbeit versunken. Auch sonst unterscheiden sie sich in Alter und Habitus nicht sehr von ihren Kommilitonen; sie alle sind junge kreative Leute, angehende Grafiker. Doch während die meisten ihre gesamte Ausbildung an der Schule für Gestaltung St. Gallen absolvieren, sind Allison Lenz und Nicholas Abele nur für ein Semester hier.

Beide studieren eigentlich an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania – einer Privatuniversität von beträchtlichem Renommée. Zu verdanken ist dies neben vielen dort lehrenden Nobelpreisträgern wohl auch ihrem berühmtesten Absolventen: Andy Warhol, der vor über 60 Jahren dort seinen Bachelor in Pictorial Design erhielt. Der Austausch zwischen St. Gallen und Pittsburgh ist zwar noch nicht ganz so alt, doch heuer sind es immerhin bereits 20 Jahre, in denen beide Institutionen ihren Studierenden die Möglichkeit zum Perspektivenwechsel bieten. Mittlerweile reisen pro Jahr je zwei Studierende für ein ganzes Semester an die Partnerschule.

Alles hatte klein und aufgrund persönlicher Kontakte angefangen. Als erster Austauschstudent reiste Andreas Tschachtli mit Herzklopfen und fast ohne Englischkenntnisse 1990 in die Vereinigten Staaten. Wie ein «Aff, den die Russen ins Weltall schicken», habe er sich gefühlt: «Kommt er lebendig zurück oder nicht?» Er kam zurück, ja mehr noch: Mittlerweile leitet er selbst die Grafikfachklasse. Ein Zufall und doch ein sehr willkommener, denn seither widmet er sich dem Austausch mit grosser Energie. Schliesslich weiss Tschachtli aus eigener Erfahrung, wie sehr solch ein Auslandaufenthalt einem die Augen öffnen kann – in fachlicher, in kommunikativer und noch so manch anderer Hinsicht.

Von Anfang an war die Idee des Austausches, dass die gesamte Lebenssituation einbezogen wird. So bekommen amerikanische Studenten hier Familienanschluss und die St. Galler amerikanisches Wohnheimambiente geboten. Ein grosser Vorteil des Ganzen: Der administrative Aufwand bleibt gering und alles läuft recht unbürokratisch. Das gilt auch für die Anerkennung des Auslandsemesters. Schliesslich geht nichts mehr ohne Punkte oder Bescheinigungen über adäquat abgelegte Leistungen. Darin liegt auch ein Rezept für den Erfolg der Zusammenarbeit. Zwar hat die Schule für Gestaltung St. Gallen weder Nobelpreisträger noch Pop Art Stars vorzuweisen, doch das fachliche Level stimmt. Und noch zwei Pluspunkte gibt es hier: das Arbeiten in festen Klassenverbänden und die Nähe des Lehrers. So lassen sich schnell feste Bezüge finden und der Reibungsverlust, der bei einem Auslandsemester zwangsläufig auftritt, bleibt gering. So hält sich bei Allison Lenz und Nicholas Abele das Heimweh denn auch in Grenzen. Beide werden ihre Zeit in St. Gallen bis zum Semesterende geniessen und darüber hinaus von ihr profitieren.