Bill Bollingers Wiederentdeckung

by Kristin Schmidt

Bill Bollinger gehörte zu den wichtigen Prozess- und Minimal Art-Künstlern der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Dann geriet er in Vergessenheit. Das Kunstmuseum Liechtenstein widmet ihm nun die längst fällige Retrospektive.

Immer wieder gibt es Entdeckungen – sogar in der wissenschaftlich bestens aufbereiteten Kunst des vergangenen Jahrhunderts. Überraschend ist dies besonders dann, wenn es sich bei dem Entdeckten um einen Künstler handelt, der Ende der 1960er Jahre zu den wichtigsten Bildhauern seiner Zeit gehörte. Bill Bollinger wurde seinerzeit in einem Atemzug mit Grössen wie Bruce Nauman, Eva Hesse oder Richard Serra genannt. Doch was passierte dann?

Bei Bollinger führten soziologische, private und wirtschaftliche Gründe  dazu, dass sich sein künstlerisches Interesse verschob und er nicht länger im Zentrum der Kunstszene präsent war. Nachdem sich 1971 seine Frau von ihm getrennt hatte, begann um das Sorgerecht des gemeinsamen Sohnes ein langer, kostenintensiver Streit. Als der Künstler diesen 5 Jahre später gewonnen hatte, zog er von New York nach Minneapolis und nahm dort er einen Lehrauftrag am College of Art and Design an. Viele weitere Ortswechsel folgen.

Bollinger hatte sich in die Peripherie begeben, auch mit seinen Arbeiten. Als er 1988 alkoholkrank starb, war er ein völlig unbekannter Künstler. Zu Unrecht, wie sich spätestens jetzt im Kunstmuseum Liechtenstein feststellen lässt. In einer umfangreichen, sorgfältig entwickelten und gut präsentierten Ausstellung wird die Kernphase von Bollingers Schaffens gezeigt.

Es sind Arbeiten aus allen wichtigen Werkgruppen zu sehen: Typische amerikanische Ölfässer sind mit Wasser gefüllt und mit Schläuchen verbunden. Die Wasseroberfläche bildet einen schillernden Film vom Rost und den Rückständen in den Fässern. Hanfseile sind über dem Boden, an den Wänden oder zwischen Boden und Decke verspannt – kraftvolle, energiegeladene Gesten. Ein 15 Meter langer, 180° um seine Längsachse gedrehter Maschendraht durchschneidet wie eine Woge den Ausstellungsraum, aufsteigend, wieder abfallend, transparent und imposant. Ein anderes, rechteckiges Stück Maschendraht hängt wie ein klassisches Tafelbild an der Wand und kann als ironischer Kommentar zur Malerei mit All-Over-Strukturen gelesen werden, die noch wenige Jahre zuvor in den Vereinigten Staaten Furore machte. Ein über eine gesamte Saalbreite am Boden ausgelegter Maschendraht hingegen erinnert mir seiner visuell durchlässigen Struktur und den sich verdichtenden, optisch vibrierenden Zonen an Wasser und Wellen.

Wasser ist eine Konstante in Bill Bollingers Werk. Die Spannbreite ist riesig, da gibt es beispielsweise jene Aktionen, wo er einen Baumstamm im Rhein bei Köln, in der Vancouver Bay oder vor Long Island treiben liess. Es gibt die Arbeiten mit transparenten Kunststoffschläuchen, in die Bollinger Wasser füllt und damit Plastizität, das Phänomen der immer gleichen Horizontlinie und die luzide Schönheit des Elementes visualisiert. Bollingers hatte ein intensives Interesse am Wasser, insbesondere am Meer und seiner Weite; für die erste Überfahrt nach Europa zu seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Rolf Ricke in Köln reiste er bewusst mit einem Frachtschiff.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass auch die aktuelle Ausstellung unter dem besonderen Einfluss des Wassers stand: Einige Werke wurden per Containerfracht über den Ozean aus den Vereinigten Staaten nach Vaduz transportiert. Die Januarblizzards unterliefen allerdings die langfristige Planung und so musste die Ausstellungseröffnung vier Tage vor der Vernissage um eine Woche verschoben werden. Dies war aber nicht die einzige Schwierigkeit im Vorfeld der Ausstellung. Christiane Meyer-Stoll, die Kuratorin der Retrospektive, musste sich auch mit dem schwer zugänglichen Nachlass, mit der Tatsache, dass wichtige Werke verschollen sind, und mit nur sehr spärlich eintreffenden Informationen auseinandersetzen. Manches Problem blieb bestehen, doch das meiste konnte überzeugend gelöst werden. So wurden unauffindbare Werke aufgrund ausführlicher Angaben des Künstlers mit den noch immer verfügbaren Originalwerkstoffen und mithilfe kundiger Zeitzeugen rekonstruiert. Die Materialsuche für den Katalog förderte so manch sehenswertes Dokument und viele aussagekräftige Fotografien zu Tage. Und wie es so geht: Kaum war die Arbeit am Katalog abgeschlossen und das Buch gedruckt, meldeten sich weitere Zeitgenossen Bollingers mit wertvollen Erinnerungen und Zeugnissen. Dies tut dem Projekt keinen Abbruch, im Gegenteil, zeigt es doch, wie wichtig es ist, einem Künstler wie Bollinger wieder Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und endlich eine fundierte Aufarbeitung seines Werkes zu leisten.

Bis 8. Mai 2011