Stadtvisionen und Zivilisationsreste

by Kristin Schmidt

In der aktuellen Ausstellung in der Galerie Werkart treffen sich die Stadt- und Pflanzenbilder Claire Guanellas mit den Holz- und Alabasterskulpturen Roland Rüeggs.

Was haben Planstädte, Hochhausfassaden und gewebter Stoff gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht so sehr viel. Auf den zweiten ist allen dreien ein Raster eigen. Die Planstädte leben von der zumeist rechtwinkligen Anordnung der Strassenzüge, die Hochhausfronten sind durch Fensterrahmen oder -bänder streng vertikal und horizontal gegliedert, das Flechtwerk von Kette und Schuss macht aus Fäden ein Gewebe.

Claire Guanella bringt in ihren Gemälden diese verschiedenen und doch so ähnlichen visuellen Strukturen zusammen. Wie vom Entwurfstisch des Architekten ragen Hochhausarchitekturen auf. Als zarte Lineaturen kontrastieren sie mit konturlosen Farbflächen und Gazestücken. Mitunter multipliziert Guanella die Hochhausarchitekturen, so dass daraus fragile Türme werden. Ein andermal entwirft sie ein städtisches Gesamtbild in radikaler Zentralperspektive. Immer aber widmen sich ihre „Stadtbilder“ dem Phänomen der Grossstadt und insbesondere ihren Wolkenkratzern.

Die Genfer Künstlerin kombiniert eine Vielzahl von Techniken und kreiert manch überraschenden visuellen Effekt. Sie mixt Collage und Malerei, Assemblage und Zeichnung. Sie verwendet Schwarzweisskopien und fotografisches Material, Farbe und Schrift. Ein besonders Augenmerk verdient die Farbigkeit ihrer Stadtlandschaften. Orangefarbige Wolken liegen über der Szenerie. Sie erinnern an die Lichtglocken über winterlichen Metropolen oder den Smog.

Guanella ist eine versierte Koloristin. Dies wird auch in den ausgestellten Blumengemälden deutlich, die weit mehr sind als Porträts botanischer Schönheiten. Es ist die wenig beachtete Pflanzenwelt, das sogenannte Unkraut, das hier grossformatig und voller Leuchtkraft inszeniert wird. Jeder Quadratzentimeter dieser Bilder ist ein optisches Ereignis mit der pudrigen Oberfläche und der getupften, gestrichenen oder abgeriebenen Farbe. Claire Guanellas Gespür für das Material verbindet sie mit Roland Rüegg. Der Steinmetz und Bildhauer zeigt Holz- und Alabasterskulpturen. In seinen Holzarbeiten, die stets aus einem Stück entstehen, nähert er sich der Natur. Er arbeitet etwa durch Schwärzen die Zeichenhaftigkeit einer Form heraus wie in dem „Wurzelball“ oder dem in einer Fensternische gut platzierten „Flechtwerk“.

Daneben untersucht Rüegg die Ästhetik der Wiederholung und die räumlichen Wirkungen von Oberflächen, so lässt er aus einem Lindenstamm durch Abtragen des Holzes ein ganzes Heer stielloser Porenpilze herauswachsen– eine ebenso irritierende wie faszinierende Verwandlung.

Doch nicht nur die Natur hat es dem Wattwiler angetan. In einer grösseren Werkgruppe untersucht er das Gegenstück dazu: die technischen Hinterlassenschaften der Kommunikations- und Mediengesellschaft. Discman, Magnetbandkassette, VHS-Band – einst aufsehenerregende Neuheiten sind sie längst aus dem Alltagsleben der meisten Nutzer verschwunden. Der Kurzlebigkeit der Apparate setzt er die Ewigkeit des Steines entgegen. Und so liegt nun ein alabasternes Mobiltelefon neben einer Fernbedienung neben einem Lautsprecher in der Vitrine. Allein durch diese museale Präsentation wirken die Dinge überholt, veraltet. Zusätzlich wurde das porös wirkende Alabaster geätzt, um einen Alterungsprozess zu imitieren.

Auch die Glühbirne hat es Rüegg angetan. Er nimmt die umgangssprachliche Bezeichnung wörtlich und füllt eine ganze Obstschale mit Leuchtkörpern aus Alabaster. Noch wirken sie frisch, aber auch ihre Tage sind bereits gezählt – einmal mehr spielt Rüegg mit Vergänglichkeit, Verfall und Ewigkeit.