Geheimnisvolle Bilderrahmen

by Kristin Schmidt

Die Ausstellung Fünfstern-Schauplatz ist mehr als ein Künstlerarchiv. Auf interaktive Weise lädt sie dazu ein, die Werke von 290 Künstlern und Künstlerinnen in Augenschein zu nehmen, die demnächst ihre Ateliers öffnen.

Der Anblick ist verblüffend: Wer die beiden Stockwerke bei «Kultur im Bahnhof» betritt, wird von Dutzenden, ja Hunderten schwarzer Rahmen empfangen. Sie hängen neben- und übereinander, bilden auf- und abwogende Reihen vor den weissen Wänden. Ein jeder der Rahmen ist angeschrieben mit Name und Adresse einer Künstlerin oder eines Künstlers, die beim diesjährigen Fünfstern-Projekt (siehe Kasten) mit dabei sind. Hier im Galeriebereich des Bahnhofsgebäudes treffen ihre Werke für einen Monat lang aufeinander. Zumindest virtuell, denn Form und Grösse der Rahmen legen zwar nahe, dass es sich um Bilderrahmen handelt, aber Bilder sind keine zu sehen.

Noch nicht; nicht ohne Hilfe des Betrachters. Erst wer einen der Rahmen von der Wand nimmt – dies ist für einmal nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erbeten –, ihn auf eine der drei weissen Tischplatten legt, wird Bilder sehen: Nach einem kurzen Moment erscheinen in dem ausgewählten Rahmen nacheinander bis zu acht Bilder, die der jeweilige Künstler oder die Künstlerin eigens für die Präsentation ausgewählt hat. Ganz egal, wo der Rahmen auf dem Tisch plaziert wird, die Bilder finden ihn immer. Noch einmal macht sich Überraschung breit. Wo ist die Technik versteckt? Wie funktioniert denn das? Welche Bewandtnis hat es mit dieser aussergewöhnlichen Art, Kunst vorzustellen?

Wie so oft, wenn etwas völlig Neues in grossem Massstab entsteht und umgesetzt wird, braucht es gute Ideen und ein gutes Team. Brigitte Kemmann, Projektleiterin von Fünfstern, hatte für die offenen Ateliertage 2007 fast zweihundert Dossiers eingefordert, aufbereitet und im ehemaligen Projektraum exex zugänglich gemacht. Vier Jahre später und nochmals 200 Dossiers umfangreicher sollte sich niemand mehr durch Akten kämpfen müssen – weder das Organisationsteam, noch die Besucher. Brigitte Kemmann schwebte eine interaktive, aufsehenerregende Lösung, ein bisschen Geheimagenten-Atmosphäre vor. Dafür holte sie Softwarespezialisten Patrick Jost und Grafiker Jürg Waidelich ins Team. Grosse interaktive Glaswände sind es zwar nicht geworden, aber die St. Galler Künstlerin Andrea Vogel hat mit den beweglichen Bilderrahmen der Technik eine lustvolle Ästhetik verliehen. Die federleichten Rahmen lassen sich herumtragen, über den Arm hängen und stapeln. Sie sind handlich und robust. Und sie bieten ein universelles Passepartout für alles, was da von Bildhauern, Malern, Fotografen, Modell- oder Instrumentenbauern, von Glas-, Medien- oder Textilkünstlern eingereicht wurde. Andrea Vogel zeigt mit ihrem eigenen Rahmen, wie sich selbst darin noch eine eigene Arbeit entwickeln lässt, indem sie ein Porträt von Bild zu Bild modifiziert.

Nun wird vielleicht der eine oder die andere Informationen zur Biographie der Künstler und Künstlerinnen oder zu den Werken vermissen; doch diese Wissenslücke ist durchaus einkalkuliert und lässt sich leicht schliessen. Die Bilderrahmen sind als Einstieg gedacht, sollen Interesse wecken und funktionieren als ein Puzzlestein im grossen Informationsangebot, zu dem auch die Fünfsternwebseite und eine Beilage zur Ateliertour gehören. Indem sämtliche weiterführende Informationen aussen vor bleiben, sprechen die Bilder für sich und erreichen gewiss so manchen, der bisher nicht zum Atelier- oder Vernissagenpublikum gehörte. Dies war auch der Hintergedanke bei der Auswahl des Ausstellungsorts: An sieben Wochentagen und oft bis in die späten Abendstunden kommen sie hier alle vorbei, die Sprachenschülerinnen, Kochkursbesucher, Tanzkursabsolventen und Fahrlehrerinnen. Sie alle lassen sich hoffentlich dazu verführen, die schwarzen Rahmen mit vielen Bildern zu füllen und bei einem Atelierspaziergang das Ganze noch live zu entdecken.