Arbeitstitel

by Kristin Schmidt

Was tun? Auf nach Liechtenstein! Für Schweizer, als offizielle Weltmeister im Bahnfahren mag es nicht gerade nahe liegen, einen Ausflug ins kleine Nachbarland zu machen. Liechtenstein hat doch noch nicht einmal einen Bahnhof im Hauptort Vaduz. Wofür also die kleine, aber aufwändige Auslandsreise? Was tun, in Vaduz? Ins Kunstmuseum Liechtenstein gehen! Hier wird mit «Che fare?» einen Sommer lang die Arte Povera gefeiert und ein bisschen auch das Museum selber. Das Museum wird 10 Jahre alt, die Arte Povera ist ein paar Jahrzehnte älter, hat aber an Relevanz für die aktuelle Zeit nichts eingebüsst. Vor über vierzig Jahren begannen einige Künstler in Norditalien die Poesie einfacher, alltäglicher Gegenstände zu entdecken und verwandelten sie in sinnlich-schöne, bedeutungsvolle Werke. So unauffällig die Ausgangsmaterialien der Arte Povera, so gross, so gewichtig ihre Themen: Zeit, Erdgeschichte, Alchemie und allem voran Energie. Sie liegt allem zugrunde, sie durchströmt die Welt und das Leben, sie verändert, fliesst, bewegt. Sie steckt im Kopfsalat, der sich zwischen Steine spreizt, sie steckt in der riesigen blauen Fellspinne, die mit ihren sechs Beinen eigentlich gar keine Spinne ist, sie faucht dem Betrachter als Stichflamme aus einer Blüte entgegen, sie lässt eine Flöte gefrieren, lässt Ziffern und Buchstaben leuchten oder Blei schweben. Das Spektrum der Formensprache ist riesig, dasjenige der Materialien und Farben ebenso: Vom kunterbunten Kleiderhaufen über blitzblanke Spiegel bis zu gelbem Schwefelpulver, von Stahlwollekissen über Kuhhäute bis Kunstrasen, von Papier über Leinwand bis Gips und Marmor reicht die Spannbreite, sogar echtes Brusthaar, Bienenwachs und Tabakblätter werden in höchst ästhetische Kunstwerke transformiert.

Was tun? Wie solch eine Vielfalt präsentieren und den Arbeiten trotzdem gerecht werden? Schliesslich wollten die Arte Povera-Künstler jene Barrieren zwischen Kunst und Betrachter niederreissen, die Museen zwangsläufig aufbauen. Alles, so unterschiedlich es daher kommt, ist in Liechtenstein dicht auf dicht präsentiert. Das ist ein Wagnis, gerade bei so fragilen Werken, doch es hat sich gelohnt, es funktioniert. Distanz wird von vornherein vermieden. Der Besucher ist mittendrin, er wird von der Kraft der Werke eingefangen, er wird immer wieder zu Seitenblicken aufgefordert und immer wieder von Neuem berührt.