Barbies Halluzinationen

by Kristin Schmidt

Die heile Welt von Marianne Rinderknecht in ihren grossformatigen Wandmalereien in der Galerie Paul Hafner ist eine Falle. Die von der St. Galler Künstlerin in zarten Farben visualisierten Träume von Prinzessinnen sind vergiftet.

Was mag sich wohl Barbie denken, erwachte sie zum Leben inmitten ihrer rosafarbenen Wohnwelten? Wie würden sich Trickfilmfiguren in ihrer quietschbunten Zweidimensionalität fühlen? Wer sich eine Ahnung dieser nur sehr vage vorstellbaren Seinszustände verschaffen möchte, dem sei ein Besuch der aktuellen Ausstellung in der Galerie Paul Hafner empfohlen.

Marianne Rinderknecht hat den White Cube in einen rosa Dschungel verwandelt. Schon wer gerade aus dem Treppenhaus in den langen Gang eintritt, entdeckt die bonbonfarbigen Wucherungen auf der nur ein paar Zentimeter geöffneten Galerietür. Dahinter offenbart sich dann das wahre Ausmass dieser Mutationen. Plötzlich sieht man sich vollständig umgeben von amorphen Formen in Neongrün, Neongelb, Pink, Magenta und zartem Lila.

Der Betrachter wird zum Zwerg, angesichts bis an die Decke wachsender Pflanzen, zusammengesetzt aus schmalen Herzen. Daneben und dahinter breiten sich rundliche Gewächse mit unzähligen Tochterzellen aus und scheinen frische, aber meterlange Blattspitzen aus der Bodenleiste hervorzubrechen. Alles wogt und wabert wie im Inneren einer Lavalampe. Punkte lösen sich und steigen wie Blasen auf, Formen pulsieren und wanken in einem unsichtbaren Strom. Über all dem strahlt eine seltsam bekannte Sonne: Ist das nicht? Ja es ist: Die Blume, die noch nicht allzu lange das neue Logo eines grossen Mineralölkonzerns ziert. Scharf gezackt in gelb und grün bildet sie einen giftigen Gegensatz zu all den Rosatönen. Und spätestens jetzt drängt sich die andere Seite des auf den ersten Blick so harmlos und zuckersüss anmutenden Paradieses ins Bild. Hinter einem spitzen Berg taucht ein Fliegenpilz mit Mickey Mouse-Silhouette auf, dessen weisse Punkte vor der weissen Wand wie Löcher wirken. Bei den rundlichen Gewächsen wiederum lässt sich nicht entscheiden, ob sie gut- oder bösartig sind und ihre Auswüchse niedliche Öhrchen oder aggressive Geschwüre. Die heile Welt ist eine Falle. Verpackt in liebliches Rosarot lauert überall das Böse.

Der Grat, auf dem Marianne Rinderknecht ihre Arbeit ansiedelt, ist schmal, ein Kippen der Stimmung jederzeit möglich. Die 1967 geborene St. Gallerin inszeniert Bilder, die einerseits universell lesbar und durch die mediale Verbreitung allgemein bekannt sind, andererseits unterwandert sie diese vielfach kommerziell genutzten Strategien mit hochtoxischen Einsprengseln, die ein jeder kraft seiner Erinnerungswelten anders deutet. Hier mischen sich Prinzessinnenträume mit halluzinogenen Substanzen aus der Küche eines Wahnsinnigen, scheint das Delirium eines psychopathischen Angestellten des Disney-Imperiums visualisiert.Die heile Welt ist zum Greifen nah und doch so weit entfernt wie immer. Ein Widerspruch, der sich im von Marianne Rinderknecht verwendeten Medium fortsetzt, denn ein Wandgemälde entzieht sich bis zu einem gewissen Grade stets seiner Besitzbarkeit. Ganz anders die ausgestellten Tafelbilder, die beinahe Taschenbuchformat haben. So findet denn auch nicht das ganze giftigsüsse Universum der Künstlerin darauf Platz, sondern nur eine Marienkäferfamilie, doch was den Betrachter da so lieblich anlächelt, sind nur auf den ersten Blick die altbekannten Glücksbringer. Auf den zweiten sind es Fliegenpilze auf Beinen, Schnecken im Käferkleid oder etwas ähnlich Absurdes. Während Lebewesen im Wandgemälde nur Andeutung bleiben, sind sie hier das Bildthema, doch ob gepunktetes Tierchen oder rosa Landschaft, beides hat es in sich.