Zwischen Skulptur und Bild

by Kristin Schmidt

Der St. Galler Künstler Stefan Rohner zeigt in seiner aktuellen Ausstellung in Katharinen Bilder, die nicht nur laufen, sondern auch den Raum erobern.

Eine Frau schläft, die Decke hat sie bis über das Kinn gezogen, ihr Haar umfliesst ihren seitlich liegenden Kopf. Weiss auf schwarz zeichnet sich ihr Bild ab und scheint sich gleichzeitig in einem hellen, auratischen Schein aufzulösen. Keine Konturlinie ist als scharfe Begrenzung sichtbar, alles erscheint wie eine flüchtige Lichterscheinung im tiefsten Dunkel. Stefan Rohner hat ein altes fotografisches Mittel wieder entdeckt: Die Solarisation. Dabei wird das lichtempfindliche Fotopapier während des Entwicklungsprozesses kurz hellem Licht ausgesetzt. Als Folge davon verkehrt sich das Verhältnis von Positiv zu Negativ.

In der aktuellen Ausstellung mit Werken des St. Galler Künstlers in Katharinen ist nun nicht nur das Ergebnis dieser Technik zu sehen, sondern der Vorgang selbst.

Unterhalb des Bildes steht ein kleiner Holztisch, in dessen Platte ein Monitor versenkt ist. Als stünde er selbst in der Dunkelkammer blickt der Betrachter hinunter und erblickt das in einer roten Schale schwappende Entwicklungsbad und die nötigen Handgriffe, um die Schwarz-weissfotografie auf dem Fotopapier sichtbar werden zu lassen. Langsam entsteht vor den Augen des Betrachters das Bild der schlafenden Frau, bis ein Blitz durch die Dunkelkammer zuckt, das Bild kurz verschwinden und dann auf umgekehrte Art wiederauftauchen lässt. Mit dieser Arbeit, in Katharinen ein wenig versteckt hinter der Eingangstür präsentiert, deutet sich ein Grundthema in Rohners aktuellem Schaffen an. Alle Werke sind in den vergangenen Monaten entstanden, und alle loten sie das Verhältnis zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, zwischen Skulptur und Bild aus. Das Bild kann dabei sowohl ein bewegtes, als auch ein unbewegtes sein. In dem Werk «Walzen» beispielsweise wird ein Kleinbilddia langsam auf und ab bewegt und das Bild einer Frau im roten Badeanzug gleitet dabei über mehrere, horizontal übereinander angeordnete Walzen. Sie springt je nach Blickwinkel pfeilgerade nach unten, wird von einem unsichtbaren Mechanismus wieder hochgezogen oder vollführt schlangenlinienartige Verrenkungen.

Bereits in den Achtzigerjahren experimentierte Rohner mit derartigen Installationsanordnungen, die damals jedoch nicht zuletzt aufgrund der eingeschränkten technischen Realisationsmöglichkeiten meist Skizzen blieben. Mittlerweile sind diese Hürden verschwunden, und der Künstler kann seine Untersuchungen zum Thema des räumlichen Bildes adäquat umsetzen. Der Hinterkopf voller Lockenwickler etwa ragt dank einer grossen Halbkugel, auf die er projiziert ist, plastisch in den Raum hinein. Die Umkehrung dieses Gedankens erfolgt mit einer anderen Arbeit, bei der das Videobild eines auf Wasserwellen auf und ab schaukelnden Angelschwimmers von einer grossen Styroporkugel umgeben ist. Aufgehängt an einer Schnur wirkt Letztere selbst wie ein überdimensionaler Schwimmer und das kleine, verborgene Bild wie der Köder für den neugierigen Betrachter. Einmal also wird das bewegliche Bild selbst zur Skulptur, das andere Mal hingegen wird die Skulptur durch den Einsatz des bewegten Bildes lebendig.Hatte Rohner in den vergangenen Jahren in seinen Fotoperformances eine Kunstfigur etabliert, indem er selbst mit blauem Hemd, unverwechselbarer Brille und Hut in immer wieder ins Absurde kippende Situationen auftrat, so setzt er in letzter Zeit wieder verstärkt Schauspieler ein. Aber ganz verzichten muss der Betrachter auf Rohners Darstellerqualitäten dann doch nicht. Ob er sich mit heiterer Gelassenheit endlos auf ihn zufliegender Leintücher entledigt oder ihm in fotografischen Einzelsequenzen eine Pauke einen Purzelbaum abnötigt, oder ist es gar ein Sturz? Auch Rohners aktuelles Werk durchzieht die leise Ironie dessen, der weiss, dass Widerstand angesichts der kleinen und grösseren, alltäglichen Hindernisse zwecklos ist.