Eine Frage des Blickwinkels

by Kristin Schmidt

Die aktuelle Ausstellung «Vermutung/Lose/Dichte» bei Hafner zeigt neue Arbeiten von Michael Kienzer. Der Österreicher untersucht mit ungewöhnlichen Materialien das Verhältnis von Wort und Bild, von Gemälde und Skulptur.

Was ist ein Bild? Welche Kriterien muss es erfüllen? Muss es an der Wand hangen? Kann es unsichtbar sein oder gar kein Motiv haben? Wo hört die Malerei auf und fängt die Skulptur an? Michael Kienzer überschreitet Grenzen, weitet sie aus oder tilgt sie völlig. Er hinterfragt Gattungsgrenzen ebenso wie die herkömmlichen Vorstellungen dessen, was ein Bild ist.

«Vermutung/Lose/Dichte» ist die Ausstellung aktueller Werke in der Galerie Paul Hafner betitelt, und bezieht sich damit auf drei aus mehreren Glasplatten zusammengesetzte Tafeln. Zwischen den Glasschichten tauchen einzelne Buchstaben auf, schweben vor- oder hintereinander im Raum und verdichten sich zu einer abstrakten Zeichnung aus breiten Linien. Ebenso gut lassen sie sich wieder zu drei Worten auseinander dividieren. Steht also «Lose» für die vom Wort gelöste Komposition der Linien? Bezieht sich «Dichte», auf die Überlagerung der hintereinander geblendeten Buchstaben oder Glasplatten? Oder ist dies alles nur «Vermutung»? Kienzers Arbeit lässt die Antwort offen, sie ist zugleich Relief und Fläche, zugleich Schrift und Bild.

Noch radikaler wirkt eine neue Werkserie, bei der die Löcher und Kanten des Glases sowohl die unverzichtbare Aufhängevorrichtung wie auch das eigentliche Motiv sind. Ausserdem spielt sich das Ganze im Glas an der Grenze zum Sichtbaren ab. Bereits vor über zehn Jahren entdeckte Kienzer Glas als künstlerisch verwendbares Material. Verarbeitete der 1962 geborene Österreicher es anfangs noch in vorgefundener, bedruckter Form in Readymade-Manier, so setzt er es später für Experimente im Bereich der Malerei ein. So trägt er etwa zwischen Spiegel und Glas transparenten Lack auf und behält damit den Duktus der Malerei bei, eliminiert aber eines ihrer wesentlichsten Elemente: die Farbe. Und noch ein Widerspruch offenbart sich hier. Mit der informellen Geste geht der Verzicht auf ein konkretes Bildmotiv einher; dieses taucht jedoch in dem unter der Lackschicht verborgenen Spiegel in Form des schemenhaft sichtbaren Betrachters wieder auf.

Auch eine andere Werkgruppe entwickelte Kienzer kontinuierlich weiter. Vor zwei Jahren waren in der Galerie Paul Hafner noch seine den Abstrakten Expressionismus persiflierenden Teppichzeichnungen zu sehen. In der aktuellen Ausstellung liegen nun schräg übereinander zwei identische Teppiche auf dem Boden mit dem einzigen Unterschied, dass der eine in die eine und der andere in die entgegengesetzte Richtung gebürstet ist. Je nach Blickrichtung wirkt einer hell und der andere dunkel und umgekehrt. «Point of View» nennt Kienzer dieses minimalistische Spiel zwischen monochromer Malerei, Bodenskulptur und Objekt und verweist damit bereits sowohl auf Vieldeutigkeit wie auch auf die Vielgestaltigkeit, je nach Blickwinkel. Eines jedoch haben alle seine Werke gemeinsam, ob aus Glas oder Spiegel, ob Teppich-, Ballon- oder Tasseninstallation: Immer wieder überraschen sie ob ihrer ungewöhnlichen und hintergründigen Interpretationen bekannter Materialien.