Lyrische Linien

by Kristin Schmidt

Der deutsche Künstler Jürgen Partenheimer zeigt in der Galerie Wilma Lock aquarellierte Zeichnungen – lyrische Vorstellungsbilder ohne konkrete Motive.

Reforzate – das einfache Wort verschwindet fast auf der Wand. Mit zartem Bleistiftstrich ist es hingeschrieben. Wie eine anonyme Liebeserklärung oder eine beiläufige Notiz. Jedenfalls ist es keine Proklamation, dafür sind die Linien zu fragil, das Wort zu klein auf der weissen Wand der Galerie Wilma Lock. Und dennoch: So unscheinbar das Wort auch wirkt, es ist das Motto einer ganzen Ausstellung.

Benannt hat sie Jürgen Partenheimer nach dem kleinen Dorf in Italien. Dorthin zog er sich zurück, dort entstand eine Serie von Bildern, die nun in St. Gallen zu sehen sind. Es sind Zeichnungen, deren Charakter dem des auf die Wand geschriebenen Wortes gleichen: Sie wirken beiläufig, leicht, beinahe flüchtig und trotzdem wohnt ihnen eine Kraft und Poesie inne. Suchende Bleistiftlinien fügen sich zu Labyrinthen, zu Zellenstrukturen und Gewebe. Sie ballen sich, verlieren sich wieder, überlagern sich und verklumpen ineinander.Eine wiederkehrende amorphe Grundform wird gestreckt, gestaucht, aufgebläht und zusammengezogen. Mal ist es ein Schwimmen und Schweben, dann wieder scheinen sich Steine zu Mauerwerk zu verbinden. Die Bleistiftlinien finden Kontrast in Flächen aus kräftigem Orange, Hellblau, Gelbgrün. Farbflächen und Linien werden in freiem Spiel zueinander assoziiert.

Selbst wenn sich immer wieder konkrete Interpretationen aufdrängen, als handle es sich etwa um Stangen und Stengel, um florale Elemente oder mikroskopische Details, so bleibt doch alles nur Vermutung. Jürgen Partenheimer lässt den Bleistift wandern und entwickelt Bilder, die unsere Vorstellungskraft beflügeln, ohne selbst mehr als eine vage Andeutung zu sein.Unwillkürlich erinnern sie an Musik, an Töne und Schwingungen. Eines ergibt das andere, einer Linie folgt parallel eine zweite, sie vereinigen sich, driften wieder auseinander und verwirbeln sich im Raum – und dies findet in immer wieder auf andere Weise spannenden und anregenden Variationen statt.

Den Anstoss zur Serie bildet eine zufällig entstandene Zeichnung: Während Filmarbeiten skizzierte Partenheimer, diesjähriger Preisträger für bildende Kunst der Stadt Dortmund, der Regisseurin seine Überlegungen: die Zeichnung als Gedankenbild. Doch warum nun Reforzate? Es zählt wie Nümbrecht in Deutschland zu den Orten, die für den 1947 in München geborenen Partenheimer den notwendigen Gegenpol zur urbanen Lebenswelt bilden. Hier ist Konzentration möglich und nötig. Hier eröffnen sich neue Räume und andere Perspektiven. Immer wieder verlässt Partenheimer den normalen, sicheren Atelierkontext. Jeder Ortswechsel bedingt eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Umgebung, ihre Atmosphäre und ihren Klang. Diese zwar zu spürenden, aber kaum zu fassenden, unsichtbaren Dinge sind es, die in seinen Bilder Gestalt bekommen.