Über allem herrscht Stille

by Kristin Schmidt

In der Ausstellung «Am Horizont ein Haus» in Katharinen sind neue Bilder von Claudia Keel zu sehen. Ein gemeinsames Merkmal der Gemälde ist die über Menschen und Landschaften liegende Stille.

Öl auf Leinwand steht hinter jedem Bildtitel auf der Werkliste zur aktuellen Ausstellung in Katharinen und zunächst erstaunt es etwas, dass Claudia Keels Bilder diese Materialbezeichnung tragen. Denn die 1969 geborene St. Galler Künstlerin reduziert den Einsatz der malerischen Mittel so weit, dass die Gemälde auf den ersten Blick eher wie Zeichnungen und auf den zweiten wie lasierend ausgeführte Aquarelle wirken. Die fast völlige Abwesenheit der Farbe betrifft nicht nur ihren materiellen Charakter im Sinne des englischen «paint», sondern auch ihre Präsenz als Farbigkeit im Sinne von «colour».

Die Ausstellung vereint Werke aus zwei unterschiedlichen Werkgruppen: grossformatigen Bildern in zarten Pastelltönen und kleinformatigen Gemälden, die fast völlig in Schwarzweiss gehalten sind. Kaum wahrnehmbar taucht hier ein Blau im Himmel und dort eines in Form eines Kragens auf. Zudem verzichtet die Künstlerin auf Binnenlinien; Figuren und Gegenstände werden aus homogenen dunklen Flächen gebildet, umrahmt von leerem Weiss – eine Umkehrung des optischen Eindruckes überbelichteter Fotografien: Die Gemälde verleugnen ihre Vorlagen aus anderen Medien nicht. Als sekundäre Bilder wahrnehmbar, strahlen sie einmal mehr subtile Immaterialität aus. Die Gemeinsamkeit der gestalterischen Merkmale der Werke korrespondiert mit der Einfachheit und Klarheit der Sujets. Menschen und Landschaften sind die beiden Hauptmotive der Künstlerin. Dabei geht es jedoch nicht um Porträts oder detailgetreue Naturschilderungen. Unnötiges wird weggelassen, alles ordnet sich einem auf das grosse Ganze gerichteten Bildaufbau unter. Die Werke wirken seltsam statisch: Von den als «Blick aus dem Fenster» oder «Am Horizont ein Haus» betitelten Landschaftsbildern geht kein Lebenshauch aus. Über dem Land herrscht völlige Stille und Zeitlosigkeit. Gleiches gilt für die Personendarstellungen. Die Protagonisten befinden sich in alltäglichen Situationen, wobei selbst dies schon zu viel sagt, finden doch keine Aktionen statt. Es ist ein Verharren, ein Innehalten. Darüber hinaus entziehen sie sich der Identifikation, schemenhaft, entrückt tauchen auf, ohne fassbar zu sein. Die dadurch erzielte Distanz wird wiederum durch die Motive überbrückt.

Zum einen scheint Bekanntes aus der Kunstgeschichte auf, mal bewusst gemacht wie in «Sixtinische Anordnung», jener grossformatigen Darstellung zweier Mädchen in sibyllinischer Haltung, mal nur erahnbar wie das an Manets «Frühstück im Freien» erinnernde «Am Feuer», das an Courbet gemahnende «Schläfst Du heute Nacht bei mir», den Anklängen an beispielhaft gewordene Rückenfiguren oder an Balthus. Letzteres trifft insbesondere auf die grossformatigen Bilder in der Ausstellung zu. In zarten pastelligen Farben zeigen sie Mädchen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Bewegungslosigkeit dominiert, die Blicke sind ins Nirgendwo gerichtet oder die Augen geschlossen. Dennoch erzählen die Bilder unendlich viel über die Schwierigkeiten eines Alters, wie auch über Träume und Sehnsüchte. Die Posen der Halbwüchsigen künden von Erwartungen und Enttäuschungen, von Abneigung und dem Bedürfnis nach Nähe. Keel erspürt nicht nur die Ambivalenz eines von Widersprüchen geprägten Lebensalters sondern findet einen adäquaten, malerischen Ausdruck dafür.