Kind, Kriegerin, Königin

by Kristin Schmidt

Kuska Caceres nimmt sich in der jüngsten Produktion der Netzwerkbühne eines alten Themas an. «Penthesilea Now!» lässt Leben und Sterben der Amazonenkönigin auferstehen.

Eine Frau, die alles bekommen kann, was sie will, göttinnengleich und doch menschlich, das ist Kuska Caceres‘ Penthesilea. In der jüngsten Produktion der Netzwerkbühne lässt Caceres die Amazonenkönigin so ganz anders auferstehen, als sie es in Kleists Drama tut. Wird ursprünglich berichtet, dass Penthesilea im Kampf gegen die von den Griechen bedrängten Trojanern von Achill erschlagen wird, der sich in die Sterbende verliebt und seine Tat daraufhin bedauert, so wird Penthesilea bei Kleist zwar von Achill besiegt, aber die derart Gedemütigte stürzt sich erneut in den Kampf auf den nun unbewaffneten und tötet ihn. Als sie erkennt, dass sie und ihre Hundemeute den als Partner für das Liebesfest vorbestimmten Achill zerfleischt haben, stirbt sie durch «ein vernichtendes Gefühl» selbst.

Kleists Amazonendrama thematisiert die Umkehrung des Begehrens, die Raserei der Liebe, aber auch des Todes in einer Intensität, die das Theater vorher so nicht kannte, und die das Bild von Penthesilea bis heute prägt. Wer sich des Stoffes erneut annimmt, kann also kaum vorbei an Kleist. Aber Kuska Caceres gelingt es mit «Penthesilea Now!» dem Thema neue Seiten abzugewinnen, indem sich die 1974 in Bern geborene Schweizerin mit peruanischen Wurzeln ganz auf die weibliche Hauptfigur konzentriert. Das Einpersonenstück widmet sich dem Leben Penthesileas von Kindheit an und ist als Geschichte in Kapiteln angelegt. Ein jedes wird mit einem kurzen Text aus der Hand Erich Furrers eingeleitet und dann durch Tanz, eigens ausgesuchte elektronische Klänge und Pantomime erzählt.

Penthesilea als «Stern am Mädchenhimmel», als Kräuterhexe, als Kriegerin, als Königin – Kuska Caceres rezitiert, tanzt, kämpft, liebt, spielt; mal wie besessen, mal verhalten, mal in sich gekehrt, ausgelassen, sinnlich oder entfesselt in rauschhafter Leidenschaft. Requisiten werden da keine benötigt. Caceres lässt Bilder und Szenen mühelos durch ihre Körpersprache auferstehen. Ob das wilde Kind oder die sich rüstende Soldatin darstellend, immer legt die Tänzerin ihre ganze Persönlichkeit und gebündelte Energie in die Figur. Ihre besondere Stärke zeigt sich da, wo allein der Tanz spricht; so in der Szene, als Penthesilea durch das Orakel der Schicksalsspruch verkündet wird. Caceres legt eine ungezügelte Energie in jede ihrer Bewegungen, konzentriert und gleichzeitig kraftvoll nutzt sie die gesamte Bühne im St. Galler «Keller der Rose». Ein anderer Höhepunkt des Stückes ist der Auszug der Frauen nach Rom. Mit Ausrufen wie «Wir holen uns die Kardinäle» führt Penthesilea ein Heer in das Zentrum der katholischen Glaubenswelt. Unter der Rächerin der jahrtausendelang Unterdrückten – und da sind durchaus nicht nur Frauen gemeint – wird zum Sturm auf Kirchen, aber auch auf Tempel und Moscheen geblasen. Wenn Caceres dann «Wiener Blut» anstimmt, drängt sich weniger eine Walzernacht als ein Gemetzel ins Bild.«Penthesilea Now!» schlägt die Brücke von griechischer Mythologie ins Jetzt. Aber die gegenwärtige Relevanz zeigt sich weniger dort, wo die Namen von aktuellen Politikergattinnen beschwört werden, als vielmehr im Ausblenden der Geschlechterthematik. In dem der Anklage einer verletzten Frau folgenden, etwas pathetisch geratenen Schlussplädoyer für Liebe und Pazifismus ist von Frauen, Männern, aber vor allem von Menschen die Rede. Damit ist das Stück nicht nur aktuell, es ist zeitlos.