Von Engeln, Röcken und Marilyn

by Kristin Schmidt

In der Grabenhalle fand am Wochenende die fünfteregionale Plattform für zeitgenössisches Tanzschaffen «Querschritte» statt. Teilnehmerinnen aus Trogen, Herisau, Zürich, Jona und Olten zeigten aktuelle Produktionen.

Zum fünften Mal lud die ig-tanz St. Gallen/Appenzell zur regionalen Plattform für zeitgenössischen Tanz ein. Fünf Stücke aus vier Kantonen standen auf dem diesmal «schwarz-weiss» gehaltenen Programm. Das Motto hat es bereits erahnen lassen: Es geht minimalistisch zu und her; Konzentration, Klarheit, geradlinige Konzepte bestimmen die Auftritte. Platz für Zwischentöne gibt es dennoch und nicht zu knapp. Die Sequenz «Warum zerbrichst Du Dir den Kopf und quälst Deinen Geist? Von der Geburt bis zum Tod gibt es nur diesen einen Körper hier» aus dem Stück der in Trogen lebenden Niederländerin Wilma Vesseur könnte über der gesamten Plattform stehen. Nach Kopfzerbrechen und gequältem Geist sieht es in keinem der Stücke aus. Die zugrunde liegenden Ideen verraten die Lust an der gestalterischen Körperarbeit, der freien Assoziation und ein in allen Performances verborgenes Interesse am Selbst.

Vesseurs Choreografie «Dieser Körper; Geheimnisse einzelner Körperteile» thematisierte zum Auftakt offensichtliche Bestandteile des Ich wie Oberschenkel, Nase, Unterschenkel, aber auch Körperteile, bei denen anatomisch Ungeschulte nur vermuten können, wo sie sich befinden, wie Galle oder Milz. Die drei Tanzenden rufen sich Begriffe zu, reagieren darauf, beschränken sich jedoch nicht auf das kör-perliche Nacherzählen. Vielmehr wird im Fluss der sorgfältig durchgearbeiteten Bewegungsabläufe die Betonung wieder und wieder leicht verschoben und der Assoziation des Publikums freier Raum gegeben. Die Herisauerin Christine von Mentlen setzt in weiten Teilen auf die eigene Stimme. Das Gedicht «In der Höhe oder lieber Engel» des St. Gallers Ivo Ledergerber ist Anlass und roter Faden des Stückes. In einem Mantel, wie ihn Engel seit «Der Himmel über Berlin» gern tragen, tanzt Mentlen das Unten, erkundet das Oben, tanzt Steigen und Schweben – und schafft eine über das Rezitative hinaus gehende leichtfüssige Interpretation des Textes.

Jeannette Engler aus Zürich nutzt einen weissen Rock als Ausgangs- und Angelpunkt der tänzerischen Reflexionen: Zwei Figuren im Raum – die eine konzentriert auf das Stoffliche, den Dingen verhaftet, die andere ihre Bewegungssprache frei entwickelnd, den Raum und den Körper erkundend, sich dem Gegenstand nähernd und dann die Freiheit zurückgewinnend. Der Einsatz der über den Tanz hinaus gehenden Mittel bleibt minimalistisch. Engler stellt den Körper und die Bewegung ganz ins Zentrum ihres Stückes.Auch Andrea Fäh Eugster zeigt darin ihre besondere Stärke. In «Zwischen Momenten» nimmt sie sich des «schwarz-weiss»-Themas an. Durch eine Lichtdiagonale wird der Raum geteilt in eine mit weissen Flocken und Blumen garnierte weisse und eine nur von Staub bedeckte schwarze Hälfte. Die Tänzerin aus Jona bewegt sich zwischen den zwei Welten. Während in der einen die effektvolle Inszenierung dominiert, begeistert sie in der anderen durch den tänzerischen Ausdruck. Zerrissen, erschöpft, fieberhaft – die Tänzerin übersetzt Befindlichkeiten in expressive Körpersprache.

«viermaleins oder Marilyn M. construct» widmet sich der zur Ikone gewordenen Schauspielerin. Die Choreografie der Oltenerin Ursula Berger versucht sich in kritischen Untertönen zum Starkult. Vier Tänzerinnen lassen das Mädchen Marilyn auferstehen und bilden mit ihrer tänzerischen Präzision, der Leichtigkeit und Harmonie der Bewegungsabläufe einen schönen Abschluss dieses Exkurses durch schweizerisches Tanztheater.