Die Maus als Berg und umgekehrt

by Kristin Schmidt

Die aktuelle Ausstellung in Katharinen zeigt Werke der St. Galler Künstlerin Ghislaine Ayer. Sie mischt Techniken und Motive in komplexen Bildwelten.

Quallen schweben über Vögel hinweg. Stammzellen, Bienenwaben, Gitternetze verschränken sich. Es wächst, wuchert und wabert. So könnte es aussehen im Labor eines Naturwissenschafters – eines Zoologen, Biologen, Chemikers, Geologen und Gentechnikers in Personalunion. Da treffen sich Bakterien, Algen, submarine Architektur und Satelliten. Die Übergänge sind fliessend, und vernetztes Wissen unabdingbar. Kaum lässt sich eine treffendere Umsetzung der Komplexität zeitgenössischer Forschung vorstellen, als sie Ghislaine Ayer in ihren Gemälden verwirklicht.

Den Ausgangspunkt für dieses Nebeneinander unterschiedlichster Informationen und Medien bildet für Ayer die Recherche in Internet und Bibliotheken. Sie sind die unerschöpfliche Quelle für ihre Bildfindungen, und bereits hier existiert alles völlig gleichberechtigt nebeneinander. Dies setzt sich in den Werken der 1976 geborenen St. Galler Künstlerin fort. Sie gibt in ihren Bildern keine Wertungen vor.

Die Sujets oszillieren zwischen Organik und Technik, so entwachsen einer zu einem rosafarbenen Berg mutierenden Maus Vektorpfeile, die sich im Schirm eines Fallschirmspringers zu thermischen Richtungshinweisen konkretisieren: gross und klein, natürlich und künstlich. Die Kombination der Motive setzt sich in jener der künstlerischen Technik fort. Ayer hat keine Angst davor, die Malerei mit unkonventionellen Mitteln zu unterlaufen, herauszufordern. So kann es schon einmal passieren, dass der Betrachter sich bei dem hellblau marmorierten Bildgrund an die Schrankfolie in der Herberge neulich erinnert fühlt, denn genau diese wurde hier verwendet. Und der bereits erwähnte Fallschirmspringer schwebt vor Klebefolie mit Delfinmotiven.

Auch Brennstab oder Feuer kommen zum Einsatz, wenn Ayer auf der Suche nach neuen Bildstrukturen ist. Aber die Technik gerät nie zum Selbstzweck. Und das eigentliche Medium, in dem immer wieder alles zu einem visuell homogenen Ganzen zusammengefasst wird, ist die Malerei.

Die Farbigkeit der Gemälde ist gebrochen, selten findet sich eine unvermischt eingesetzte Primärfarbe. Alles fügt sich zu Farbklängen, die auch Kontraste nicht ausschliessen, so etwa ein Rosa, das auf sattes Grün trifft. Die Farben bilden oft nahezu monochrome Flächen oder ziehen sich in starken Lineaturen über das Bild. Der Hintergrund ist ebenfalls monochrom oder wird von einer kleinteiligen Allover-Struktur gebildet, sodass die Motive zu schweben scheinen. Werden sie an den Rändern angeschnitten, verstärkt sich der Eindruck der Schwerelosigkeit noch, das Bild wirkt wie ein Ausschnitt von in der Unendlichkeit des Raumes treibenden Teilchen. Ghislaine Ayer arbeitet souverän mit den gewählten Mitteln. Umso bemerkenswerter ist der unprätentiöse Umgang mit dem Bildträger: Sie verwendet Sperrholzplatten, die sie an die Wand pinnt. Solche Unbefangenheit tut wohl, lässt sich doch öfter feststellen, dass Künstler ihre Werke durch das Passepartout zu adeln versuchen.

Ayers Werke sind ein zeitgemässer künstlerischer Ausdruck für das, was uns in dem Wörtchen Hybrid immer öfter begegnet: ein aus unterschiedlichen Arten oder Prozessen zusammengesetztes Ganzes, in dem die zusammengebrachten Elemente bereits für sich stehen können, aber durch das Zusammenbringen eine neue Qualität gewinnen. Der Titel der Ausstellung in Katharinen, «Patchwork», deutet auf seine Weise ebenfalls auf dieses Phänomen hin. Das Einzelne fügt sich zueinander, sowohl motivisch als auch vom Herstellungsprozess des Werkes aus betrachtet.