Die Velodidakten

by Kristin Schmidt

Schneiden und Kleben – das verbindet die drei Künstler, die das Lagerhaus vorstellt: Edmond Engel, Heidi Ehmcke und Rosemarie Koczy.

Zur Selbstvergewisserung eines Künstlers gehört der Rückblick auf das eigene Werk. Dabei kommt es nicht selten zu Überarbeitungen und Neuinterpretationen. Auch Edmond Engel hat sich nach Jahren wieder auf die alten Stücke besonnen. Er setzt sich mit jenen Werken auseinander, die er so inzwischen nicht mehr gelten lassen kann. Werke, die gerade noch Material sein können für Neues.

Und dieses Neue bedeutet einen grossen Schritt im Werk des 1937 geborenen, am Genfer See lebenden Engel. Seine alten Werke hat er zerschnitten und die Fragmente auf Sperrholz aufgeklebt. Das Holz selbst jedoch ist mit der Laubsäge in Form gebracht. So kleben kunterbunte Papierstücke auf dem Umriss eines Radfahrers. «Autodidakten und Velodidakten» heisst die Ausstellung verschmitzt. Das Velo besteht aus den Teilen einer Landkarte. Dynamisch wild rast es über die Wand des Museums. Gegenüber macht sich ein Sträfling aus dem Staub, er erklimmt eine Leiter. Einmal nimmt das collagierte Material die Vorgaben der Silhouette auf, ein andermal entfaltet es ein eigenes Leben als Binnenform.

Interessant auch die Ambivalenz zwischen Linearem und Räumlichem. Engel interessiert sich stärker für den Charakter eines Wesens oder Gegenstandes als für seine perspektivisch korrekte Darstellung. Doch als Objekte an die Wand montiert, entfalten die Werke räumliche Präsenz. Zum Teil sind sie grossformatig, wirken aber nie monumental, sondern dynamisch oder sogar fragil. Ob Velofahrer, Tanzende, Boxer, eine «Schwangere mit Siebenlingen», ob Ziegen, Kühe und ein «Septdromedar», gemeinsam ist ihre Leichtigkeit.

Auch Heidi Ehmcke (1905– 1962) erfindet Tiere, ihre Schlangen sind Königinnen, Sonnenanbeterinnen und andere verzauberte Schönheiten. Und auch die am Zürichsee geborene und nach Los Angeles ausgewanderte Ehmcke arbeitet im Medium Collage.

Allerdings ist ihr Werkzeug nicht die Säge, sondern die Schere. Papierschnipsel unterschiedlichster Herkunft – Zeitungsbilder, Magazinseiten, Geschenkpapier – sind zu Landschaften, Porträts oder Tieren zusammengesetzt. Charakterisiert nur durch minimale Details wie Bart, Brosche oder Pfeife beginnen die Gestalten Geschichten zu erzählen.

Die Doppelausstellung im Museum im Lagerhaus wird ergänzt durch zwei weitere Präsentationen. Zum einen ist die eigene Sammlung neu inszeniert, zahlreiche Werke sind erstmals zu sehen. Zum anderen wurde das aktuelle Textilthema aufgenommen: Im kleinen Raum des Museums sind Tuschezeichnungen von Rosemarie Koczy zu sehen. Sie zeigen die geschundenen und gequälten Menschen aus Konzentrationslagern. Doch statt der expressiv gestrichelten Hintergrundstruktur ihrer bekannten Werke sind die Menschen mit ihren schmalen Gliedern, ihrem stummen Staunen behutsam umfangen mit Stickerei-Ornamenten. Sie erhalten ihre Würde zurück, beginnen im definierten Umraum zaghaft zu agieren. Sämtliche ausgestellte Zeichnungen sind auf Spitzen aus dem Textilmuseum St. Gallen zurückzuführen.