Verwandelte Welt

by Kristin Schmidt

Jan Kaeser spielt auf poetische und hintersinnige Weise mit Alltagsdingen. Die Ausstellung in Katharinen zeigt eine Auswahl seiner jüngeren Werke.

Nichts ist mehr, wie es immer war: Die Nagelschere besteht aus Nägeln, die Bratwurst aus Bronze, der Rettungsring aus Marmor. Jan Kaeser verwandelt die Welt. Alltägliches, Gewohntes, Bekanntes wird zu Befremdlichem, Irritierendem. Der Gebrauchsgegenstand ist nicht länger zum Gebrauch geeignet, ihm haften stattdessen ganz neue, andere Qualitäten an. Was Jan Kaeser einer Mutation unterzieht, erzählt eine Geschichte; wie etwa die Stühle, die in der Arbeit «übrigens» geschwollene Beine bekommen haben.

Die Verwandlungen verraten Kaesers unerschöpfliche Lust an der Beobachtung der Umwelt und die daraus resultierende Aufmerksamkeit für sinnfällige Zusammenhänge. Wenn die Nagelschere aus Fingernägeln besteht, erinnert sie schliesslich daran, dass Horn bereits seit längst vergangenen Zeiten für Gebrauchsgegenstände zum Einsatz kam. Doch zuerst muss da freilich der leichte Schauder überwunden werden, der einen im Angesicht der kleinen Akkumulation menschlicher Überbleibsel überkommt.

So haben die meisten Werke Kaesers mindestens zwei Ebenen. Die erste, die ein Schmunzeln, eine Überraschung oder ein Staunen auslöst, und jene, die nachdenklich werden lässt, indem sie die Dinge kritisch hinterfragt. In der aktuellen Ausstellung in Katharinen ist beispielsweise die Arbeit «Traumgleichgewicht» zu sehen: Am ledernen Henkel hängen statt der Aktentasche verklebte Zuckerstückchen. Schon taucht die Frage auf, was verbirgt sich in so mancher Aktentasche? Der Zucker als Nervennahrung konkurrenziert mit den Papierstapeln, die so manchem den letzten Nerv geraubt haben. Schnell kippt das erste Schmunzeln in bedrücktes Innehalten, so etwa in den Werken «Eingang» und «tatsächlich». Erstgenannte Arbeit aus dem Jahre 1998 gehört zu den älteren Werken der Ausstellung. Drei Koffer haben auf ihrer Aussenseite je ein kleines Schild, welches auf einen «Eingang» hinweist und daneben einen funktionierenden Klingelknopf.

Das sprichwörtliche Leben aus dem Koffer wird damit nicht nur illustriert, sondern hinterfragt. Denn die Parallele zwischen einer Wohnung und dem Koffer liegt auf der Hand. Was dem einen seine mehrere Dutzend Quadratmeter, ist dem anderen der Raum eines schlichten Behältnisses, wo mitunter ein ganzes Leben Platz finden muss.

Das Werk «tatsächlich» ist von ähnlicher Brisanz. Fünf Laibe weissen Brotes sind an die Kette gelegt. Die Eisenketten gehen durch die Brote hindurch und sind mit einem Schloss gesichert. Mitnehmen ist unmöglich. Das Werk mag hier absurd erscheinen, doch sofort ist der Mangel an Nahrung von anderen und anderswo präsent. «Von der Hand in den Mund» ist zum «Laib in den Mund» geworden, jeder bekommt nur, was er sofort essen kann.

Für die Ausstellung hat Jan Kaeser eigens ein neues Werk entwickelt. Es steht im Innenhof des Kreuzgangs von Katharinen. Vier Lichtsignalanlagen stehen zu einem Kreuz angeordnet und blinken sich gegenseitig an mit gelbem Licht. Das gelbe Blinken als Zeichen der Pause, des Innehaltens fügt sich aufs Beste in die Stille des Klosterhofs. «Vielleicht» nennt Kaeser diese Arbeit, und wie stets ist es der Titel, der dem Werk eine zusätzliche Portion Poesie verleiht. Vielleicht sind die Ampeln des Signalisierens müde, vielleicht stehen sie für vier Personen in einem für andere unverständlichen Gespräch – vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Kaeser lässt alles offen, und gerade dadurch sind seine Werke unendlich vielfältig und erzählerisch. Solange noch Gegenstände verfügbar sind, so lange darf man auf neue Werke Kaesers gespannt sein.