Fotografie als Installation

by Kristin Schmidt

In ihrer ersten Ausstellung in St. Gallen untersucht Katalin Deér in Katharinen die Schnittstelle zwischen dreidimensionalem Raum und Fotografie.

Der Ausstellungssaal in Katharinen ist das Gegenteil eines White Cube. Während bei letzterem architektonische und infrastrukturelle Elemente in den Hintergrund treten und die ausgestellte Kunst ohne Ablenkung wirken soll, weist der Raum in Katharinen mit Gesimsen, Deckenbalken, Fenstern, Fensterbänken und vielem mehr ein grosses Repertoire an baulichen Details auf, die eine Konkurrenz zur Kunstpräsentation und -betrachtung bilden.

Es ist daher immer wieder spannend zu sehen, wie die in Katharinen ausstellenden Künstlerinnen und Künstler mit der Herausforderung durch diesen Raum umgehen, wie sie ihre Werke vor der heterogenen Kulisse zur Geltung bringen oder sie sogar bewusst integrieren. Die aktuelle Schau «Das endlose Haus» von Katalin Deér stellt ein sehr gelungenes Beispiel für diesen Umgang mit dem mittelalterlichen Saal dar. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Deér zwar Fotografien zeigt, die Ausstellung jedoch viel mehr ist, als eine Fotopräsentation.

Die grossformatigen Bilder hängen nicht an der Wand, sondern sind auf einem über vierzig Quadratmeter grossen, kaum kniehohen Podest angeordnet. Der Betrachter schreitet also nicht wie üblich die Raumgrenzen ab, sondern bewegt sich um die Mitte des Raumes herum. Das passt zum Gesamtkonzept Deérs: Die 1965 in den USA geborene Künstlerin untersucht in ihren Werken die Schnittstelle zwischen dem dreidimensionalen Raum und der Fotografie. Ihr Ausgangsmaterial sind selbst aufgenommene Fotografien von baulichen Gegebenheiten im städtischen oder ländlichen Umfeld – hier eine Scheune, dort ein Autobahntunnel, da eine Kirche, ein Wolkenkratzer oder ein Fussballfeld.

Diese Fotografien bilden eine Sammlung, aus der heraus wieder Neues entsteht. Sie werden entweder in einem konzeptuell durchdachten und sorgfältig verfolgten Prozess zerschnitten, zusammengebaut und erneut fotografiert. Oder sie werden zu Paaren und Gruppen geordnet, so dass sogar die jeweils gegenüberliegenden Bilder auf dem Podest miteinander korrespondieren. Selbst noch in der Art der Auslage variiert Deér. So sind manche Fotos auf Kunstharzlaminat aufgezogen, welches die Wölbung des Papiers fixiert, andere behalten ihre Wölbung, wieder andere sind mit Steinen beschwert oder liegen von alleine plan auf dem in einem gebrochenen Grün gestrichenen Grund.

Deér zeigt sich als genaue Beobachterin, die nicht wertet oder diktiert, sondern den Blick öffnet. So findet eine abfotografierte, gebogene Katalogseite ihre Entsprechung in dem dort abgebildeten Brückenbogen, zerschneidet die A-Säule eines Autos wie ein futuristischer Baukörper die Landschaft oder finden ein Fussballtor vor Kirche und ein Tischgestell vor Flussaue zueinander. Nur selten tauchen Menschen auf – und wenn, dann verleihen sie den Bildern etwas Anekdotisches. Doch ob mit Menschen oder ohne, die Fotografien verweisen auf die emotionale Resonanz von Architektur und städtischem Lebensumfeld. Katalin Deér untersucht, wie sich Zeit und Nutzung in die Form von Gebäuden einschreiben, wie ihr gewachsenes Antlitz auf die Wahrnehmung wirkt. Eine bemalte und nun verwitterte Hausfassade ist dabei ebenso reizvoll wie die Struktur einer rohen Betonmauer.

Katalin Deér lebt seit 2004 in St. Gallen und die Ausstellung in Katharinen ist ihre erste hier. Sie ist ein gelungener Auftakt, und selbst nach der dritten, vierten Runde um das Podest gibt es noch wieder Neues zu entdecken. «Das endlose Haus» lädt zu einem endlosen und immer wieder lohnenden Rundgang.