Bilder von Büchern

by Kristin Schmidt

Die Herisauerin Vera Marke präsentiert mit ihrer Bilder-Installation «Komm, iss mit mir» ihren persönlichen Lesestoff in der Galerie Paul Hafner.

Bücher sind da, um gelesen zu werden. Oder angeschaut, wenn es sich um Kataloge und Bildbände handelt, oder um die Buchrückenimitationen, die zuweilen Wohnwände in Bibliotheken verwandeln. Und es gibt eine dritte Art, Bücher anzusehen: Vera Marke zeigt sie in der Galerie Paul Hafner.

Ausgestellt sind 165 kleine Ölgemälde, identisch in der Grösse und in gewisser Weise auch von ihrem Sujet her, denn jedes Bild zeigt genau ein Buch. Sorgsam ist es mittig im Format plaziert; zu sehen ist der vordere Buchdeckel und ein Teil vom Schnitt. Die Malweise wirkt flüchtig, Details sind nur angedeutet, die Buchstaben zu einfachen Linien verkürzt.

Welches Buch jeweils abgebildet ist, ist so nur schwer erkennbar. Höchstens einige markant gestaltete Reihen oder Verlagslayouts sind identifizierbar, wie etwa das unverkennbare Reclam- und das Diogenes-Design, die Suhrkamp-Bibliothek, das Du-Mont-Logo oder die Nachschlagewerke von Langenscheidt und Duden. Wer es genau wissen will, dem hilft die ausliegende Werkliste, denn jedes Gemälde ist bezeichnet mit der ISBN-Nummer des jeweiligen Bandes, so er eine hat. Das ist gerade bei alten Publikationen nicht der Fall – auch solche finden sich in den Gemälden.

Aber welches ist nun der grosse Zusammenhang dieses Büchersammelsuriums? Ist es eine Bibliothek, ein Bücherladensortiment? Eine zufällige Auswahl? Es ist Vera Markes persönlicher Lesestoff. Die Herisauer Künstlerin, Jahrgang 1972, hat im vergangenen Jahr begonnen, jedes Buch, dass durch ihre Hände ging, zu malen: ob Wörterbuch, Lexikon, Reiseführer, Schmöker, ob der Bibliothek entliehen, von Freunden geborgt, ob geerbt oder gekauft.

So ergibt sich einerseits ein sehr persönliches Bild, denn nicht nur die Nachttischlektüre ist verewigt, sondern beispielsweise auch die Begleiter der Reiselust, oder die Vorliebe für bestimmte Künstler- oder Kunstrichtungen und nach welchen Rezepten gekocht wird.

Allerdings teilt sich das Bild der Person der Künstlerin nicht auf den ersten Blick und ohne weiteres mit, denn zum einen ist in den Gemälden keine Wertung zu erkennen, welches Buch möglicherweise wichtiger war als andere, und zum anderen wollen die ISBN-Nummern erst einmal zugeordnet sein: Es bleibt dem Betrachter überlassen, ob er die Bildreihen mühsam durchzählen möchte, oder sich doch lieber dem Spass des Vermutens, des Enträtselns überlässt.

Ohnehin lohnt sich, abgesehen vom Blick auf das Einzelwerk, auf das einzelne Buch, eine Gesamtübersicht. Dies ist Vera Marke durchaus bewusst, und so hat sie minimalistische Bänke entworfen, die zum Innehalten einladen. Der Betrachter sieht sich so von allen Seiten umgeben von Büchern, von Bildern – er kann das Auge wandern lassen über die schier endlose Reihe. Erst in diesem Rundblick wird die homogene Farbigkeit der Bilder bewusst. Oder die Egalisierung der Buchformate: Ob Taschenbuch oder Kunstkatalog – alles kommt in der gleichen Grösse daher.

Vera Marke objektiviert, sie räumt auf, sie wechselt die Perspektive. Dort liegt auch ein Hintersinn dieser Arbeit: Indem die Künstlerin jedes Buch vor dem Zurückstellen ins Regal oder dem Zurückgeben an den Ausleiher noch einmal zur Hand nimmt und malt, lässt sie es nochmals Revue passieren, verleiht ihm einen neuen Status: Das Buch wird zum Bild.

Und der Ausstellungstitel? «Komm, iss mit mir» – eine vieldeutige Einladung? Ein Buchtitel? Eine Anspielung auf das gelöffelte Wissen? Wieder Freude am Vermuten.