Von vielschichtigen Beziehungen

by Kristin Schmidt

Was ist wirklich und was ist inszeniert? Im Alltag gibt es unzählige Verknüpfungen beider Erscheinungen. Das spannungsgeladene Verhältnis wurde am Samstag in der Kunsthalle an einem Symposium thematisiert.

Ist nicht jede Inszenierung auch bereits Realität? Beinahe permanent wird die Wahrnehmung mit Inszenierungen konfrontiert, herausgefordert oder sogar manipuliert. Dank einer Kooperation mit dem Verein Ostschweizer Psychotherapeuten konnten in der Kunsthalle spannende Einblicke in zwei Disziplinen gewonnen werden, in denen auf ganz unterschiedliche Weise mit konstruierten Realitäten gearbeitet wird.

Während in der Kunst die Inszenierung als Mittel dient, bestimmte Inhalte und Stimmungen zu visualisieren, ist sie in der Psychotherapie ein Symbol der Patienten für Erlebtes und Erfahrenes. Am einen Ort entsteht also eine intime Arbeitssituation, deren Ergebnis die Wirklichkeit ist. Am andern Ort wird den Rezipienten eine individuelle Wahrnehmung des Dargestellten ermöglicht. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten. Hier wie dort wird kommuniziert, dient die Inszenierung als Verständigungsmittel, eine Tatsache, die Hans Holderegger, Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse und Dozent am Freud-Institut Zürich, sehr anschaulich darstellte. Und so sind die Beispiele zahlreich: Goethes Liebeslyrik sensibilisierte den Leser ebenso wie etwa Expressionisten grosse Gefühle evozierten. Holderegger hob hervor, dass es die künstlerischen Werke sind, die die emotionale Qualität dessen annehmen, was der Mensch erlebt. Indem sie Assoziationen auslösen, ermöglichen sie eine vitale Neuorganisation der inneren Welten. Das sei auch ein Ziel der Psychoanalyse: die Wiederbelebung einer von Konflikten und Traumatas blockierten inneren Welt. Die Künstler also als die Psychoanalytiker der Gesellschaft? Holdereggers Referat provozierte in positivem Sinne viele Fragen, ein Weiterdenken seiner Thesen ist lohnenswert; auch für Nicht-psychotherapeuten, die an diesem Nachmittag jedoch eindeutig in der Unterzahl waren.

Das wurde insbesondere auch beim Gespräch im Anschluss des zweiten Vortrages deutlich. Dieser widmete sich der «Videoselbstdarstellung zwischen Performance und Self-Editing». Letztgenannten Begriff entwickelte die Referentin Irene Schubiger, Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel, um die Situation der Künstler zu beschreiben. Diese liefern sich zunächst der Technik aus, um dann am Schneidetisch das von sich selbst aufgenommene Bild nachträglich zu gestalten. Die Brisanz des Vorganges wurde begreiflich beim Vergleich mit dem gemalten Selbstporträt. Dabei dient seit jeher der Spiegel als zentrales Hilfsmittel, doch der Blick in denselben und jener auf die Leinwand sind zwei getrennte Vorgänge. Der Monitor dagegen zeigt alles direkt, seitenrichtig und nicht zeitverzögert. Aber auch er liefert nur ein äusseres Bild. Mit sorgfältig ausgewählten Beispielen von selbstzerstörerischen Akten bis zur Absenz des Subjektes illustrierte Frau Schubiger die Möglichkeiten im Bereich künstlerischer Selbstdarstellung. Gianni Jetzer, Leiter der Kunsthalle St. Gallen, warnte darauf eindringlich davor, die Künstler zu pathologisieren, sind doch ihre Werke als wissentlich entwickelte Bilder zu begreifen. Es folgte eine angeregte Diskussion über den gemeinsamen Nenner zwischen Kunst und Psychoanalyse.