Von Abstrakt bis Akrobatisch

by Kristin Schmidt

«Outside the Box» der 3×1-Tanzkompanie – Die jüngste Produktion der Dance Loft Rorschach zeigt in der Grabenhalle sehr unterschiedliche Choreografien – und zeitgenössischen Tanz auf hohem Niveau.

Die beiden Dachhälften der Grabenhalle sind aufgeklappt, hell strahlt es aus dem Innenraum. Mit diesem Bild kündigt die Einladungskarte zur Dance-Loft-Produktion Einblicke in die Arbeit der Internationalen Tanz- und Ballettschule Rorschach an. Wieder haben sich deren Studenten und Absolventen unter Leitung von Rut Ackermann zur Tanzkompanie 3 x 1 formiert. Auf dem Programm, drei Stücke, entwickelt von vier Choreografen aus vier Ländern für 14 Tänzerinnen und 3 Tänzer. Das verspricht einen abwechslungsreichen Abend. Und tatsächlich wurde das Premierenpublikum am Dienstag in der gut besuchten Grabenhalle nicht enttäuscht.

Die Aufführung beginnt mit einem Erwachen. Mit viel Gefühl für aussagekräftige Details spüren die Tänzerinnen und Tänzer in «Outside the Box» dem Schwanken zwischen Wohlbehagen und Unlust bei der Rückkehr aus dem Reich des Schlafes nach. Begleitet von einem über Grossstadtleben reflektierenden Rezitativ steigert sich das Tempo des Stückes, und die Bewegungen intensivieren sich bis zu akrobatischen Einschüben. Unter variierenden Rhythmen und Lichtstimmungen werden Gegensätze in Szene gesetzt: Menge versus Individuum, schnell versus langsam, Streichmusik versus Elekt-ronik. Den Gesamteindruck prägen lebhafte, instabile Konstellationen, Gruppen formieren sich, um sich eilig wieder aufzulösen und neu zu finden. Der Schweizer Boris Schneider und Isabel Glotzkowsky (Deutschland/ USA) lassen die Tänzerinnen neben-, mit- und gegeneinander agieren. Dabei überzeugen vor allem die Zweiergruppen und Soloauftritte, die Phasen, in denen sich die Akteure auf sich oder ihren Partner konzentrieren. Anders bei «Variation X», choreografiert von Philipp Egli, Leiter der Tanzkompanie des Theaters St.Gallen. Hier dominieren koordinierte Bewegungsströme das Bild. Das Stück überrascht durch den spielerischen Umgang mit zwei Klassikern: Edward Grieg und Niccolo Paganini werden auf witzige, mitunter grotesk wirkende und dennoch poetische Weise interpretiert. Das Tempo ist teilweise noch höher als im ersten Stück und wird dennoch mühelos von der Kompanie bewältigt. Die Musik scheint geradezu zum Gleichklang der Körper herauszufordern. Aber kaum hat das heitere Fest begonnen, ist es schon vorüber – «Variation X» dauert nur wenige Minuten. Dennoch setzt es einen wichtigen Akzent und zeigt, wie gut sich die Klassiker für eine Umsetzung in zeitgenössischer Tanzsprache eignen.

Den Abschluss bildet die Choreografie des Brasilianers Marcelo Pereira «Saco sem Fondo», was hierzulande dem «Fass ohne Boden» entspricht. Ausladende Gesten, harmonisierte Körperfelder, mal horizontal mal vertikal ausgerichtete Bewegungen und zahlreiche Sprungkombinationen fordern noch einmal alle Tänzerinnen und Tänzer. Dramatische Beziehungskisten und ungezügelte Emotionen entladen sich in aggressiven Gesten. Das expressivste Stück des Abends ist gleichzeitig das mit den deutlichsten Bildern, Theatralik ist einkalkuliert. Etwa wenn eine Tänzerin in Weiss unzählige Rosen liebkost und dabei von anderen in blutroten Samtkleidern umringt wird. Die thematischen Bezüge werden von ständigen Kleider-, Licht und Rhythmuswechseln unterstützt. Das Gesamtbild ist heterogen und nicht zuletzt deshalb durchgehend spannend. Das gilt zugleich für die gesamte Produktion. Alle drei Stücke sprechen eine kompromisslos zeitgenössische Tanzsprache, ausformuliert in verschiedenen Dialekten und von den Tänzerinnen und Tänzern auf hohem Niveau umgesetzt.