Im eigenen Lebensfilm

by Kristin Schmidt

Stefan Rohner präsentiert mit «on stage» seine jüngsten Arbeiten bei Paul Hafner. Sie zeigen Ausschnitte aus Rohners Lebenskosmos mit ihm selbst in der Hauptrolle.

Jede Fotokamera hat einen Sucher. Blickt der Fotograf hindurch, sieht er das, was sein Motiv werden könnte auf der anderen Seite der Kamera. Es gilt noch immer als Fehler, wenn die beiden Seiten nicht klar getrennt bleiben, der Fotograf selbst in seinen Aufnahmen zu sehen ist, und wenn es nur sein Schatten ist, der ins Bild fällt.

Der St. Galler Stefan Rohner aber verweigert sich diesem Tabu. Bei ihm steht der Apparat nicht mehr zwischen Motiv und Fotograf. Seit einigen Jahren schon spielt er auf ganz verschiedene Art und Weise in seinen eigenen Fotografien mit. Er mimt einen Bauarbeiter in allerlei skurrilen Situationen, agiert mit Alltäglichem wie Einkaufswagen, Plüschtieren und Bügeleisen auf ungewohnte Weise, montiert das eigene Antlitz in Schneekugeln und Osternester oder bändigt einen gelben Plastikschlauch, der sich wie eine Riesenschlange aufzuführen scheint. Und nie lässt er Zweifel aufkommen, dass er selbst es ist, der seine Werke belebt, denn seine blaue, runde Brille ist längst so etwas wie ein Markenzeichen.

Noch bis vor kurzem liess sich Rohner, 1959 in Herisau geboren, stets bei seinen Fotografien helfen. Er beauftragte andere Fotografen, den Auslöser zu betätigen, bearbeitete seine Werke mit dem Computer nach oder bat Freunde, ihn zu begleiten und abzulichten. In seinen jüngsten Arbeiten hat Rohner nun den direktesten Weg eingeschlagen, den es gibt, um Fotograf und Motiv zugleich sein zu können, mit einer Technik, wie sie wohl so einigen verwackelten Urlaubsbildern zugrunde liegt, wenn der Kamerabesitzer selbst mit aufs Bild wollte: mit der Kamera in der ausgestreckten Hand, dem Finger auf dem Auslöser und dem Blick in Richtung Objektiv. In der aktuellen Ausstellung in der Galerie Paul Hafner zeigt Stefan Rohner die 54-teilige Serie «Filmstills / Selfportraits». Fast alle Bilder entstanden auf die beschriebene Weise und unterscheiden sich doch erheblich von den Selbstportraits der Gelegenheitsknipser. Rohner trägt seit zwei Jahren bei ausgewählten Gelegenheiten eine Weitwinkelkamera mit sich und stellt so die Bilder in ein Spannungsfeld zwischen Inszenierung und Zufall.

Er selbst bezeichnet die Serie als eine Art «autobiographisches Theater» und deutet damit bereits auf die ihr innewohnende Ambivalenz. Zum einen sieht der Betrachter Momentaufnahmen eines realen Lebens, doch immer bleibt im Bewusstsein, dass 54 Aufnahmen aus zwei Jahren nur eine sehr begrenzte Auswahl an Momenten festhalten können. Rohner, der gerne Schauspieler geworden wäre, doch dem Wunsch der Eltern folgte, einen «rechten Beruf» zu erlernen, spielt sich selbst in einer Reihe ausgewählter Szenen. Sie zeigen einen Menschen unterwegs und damit zugleich ein Panorama zeitgenössischen Lebens. Es reicht vom Rostbratwurstverkäufer im Berliner Regen über den Strassenmusiker vorm Kölner Dom bis zum Punkerpärchen vor der Pariser Brasserie. Ob in Zürich, London, Dresden oder Trogen: Rohner vermischt Unspektakuläres mit Besonderem und zeichnet damit ein facettenreiches Bild seiner Umgebung. In der Gesamtheit haftet seinem Werk etwas Philosophisches an. Der Mensch kann hier beinahe beiläufig seine Geschichte bis zu den Anfängen zurückverfolgen und sie in nächster Nähe zu vermeintlichen zivilisatorischen Errungenschaften sehen. Die Serie funktioniert sowohl als Abbild eines grossen Ganzen wie als persönlicher Lebensfilm. Rohner vergleicht sie mit den autobiographischen Sequenzen, wie sie von Menschen auf der Schwelle vom Leben zum Tod in Sekundenbruchteilen wahrgenommen werden: Wir stehen jetzt auf einer Bühne, aber den Film sehen wir im letzten Augenblick.