Rauhe Bilder, glatte Steine

by Kristin Schmidt

Die St. Galler Erker-Galerie zeigt eine Doppelausstellung mit Skulpturen von Karl Prantl und Grafiken von Antoni Tàpies. Beide Künstler sind mit sehr unterschiedlichen Mitteln archetypischen Erfahrungen auf der Spur.

Im Jubiläumsjahr des Kantons gibt es zugleich auch manch anderen runden Jahrestag zu feiern. Drei dieser besonderen Daten sind Anlass für die aktuelle Ausstellung in der Erker-Galerie mit Werken von Antoni Tàpies und Karl Prantl. Beide Künstler feiern Ende diesen Jahres ihren 80. Geburtstag, und gleichzeitig ist es vierzig Jahre her, seit Tàpies die erste Ausstellung in der St. Galler Galerie gewidmet wurde. Während dieser Zeit gab der Erker-Verlag zahlreiche Tàpies-Bildbände heraus, ausserdem erschienen hier die gesammelten Schriften des Künstlers, bibliophile Bücher und Mappenwerke mit Originaldrucken.

Ein ganz besonders Augenmerk verdient das «Album St. Gallen», eine 1965 entstandene Mappe mit farbigen Lithografien des Künstlers, denn im ersten Galerieraum werden nun neben weiteren Beispielen aus dem grafischen Werk die Vorlagen zu acht der zehn Blätter gezeigt. Vor einem vergleichenden Blick in die aufliegende Mappe lohnt es sich, die einzeln präsentierten Gouachen anzusehen. Obgleich der in Barcelona geborene Tàpies vor allem für seine Materialbilder aus fixiertem Sand, aus Mörtel, Leim, Gips oder gefärbtem Zement und ab den achtziger Jahren für die Schamotteplastiken bekannt ist, ist seinem grafischen Werk eine ebenso grosse Bedeutung zuzumessen. Die betonte Stofflichkeit seiner Werke und ihr Realitätsbezug, der oft politisch gedeutet wurde, findet sich auch in diesem Medium wieder.

Ähnliches gilt für die typischen Bilddetails: Tàpies verwendet Buchstaben, Kürzel und mathematische Zeichen, jedoch ohne damit eine konkrete Sprache zu entwickeln. Inklusive der Abdrucke von Körperteilen verbindet sich alles zu einer undurchdringlichen Symbolsprache, die sich der oberflächlichen Deutung verschliesst und stattdessen tiefere Bewusstseinsschichten öffnet. Dies funktioniert in den Gouachen wie auch bei den etwas weniger unmittelbaren Lithografien, wie der direkte Vergleich zeigt. In den Gouachen sind es neben den impulsiven Gesten immer wieder die feinen Linien, die das Auge in seinen Bann ziehen, die unvergleichliche Transparenz einer zart aufgetragenen Farbfläche, die kreidigen Striche und nicht zuletzt die Arbeitsspuren des Künstlers: die mitunter kaum wahrnehmbaren, unbeabsichtigten Fingerabdrücke, die Schmutzspuren und das manchmal verletzte Papier. Die in den Lithografien als grosse Flächen erscheinenden Elemente entpuppen sich in den Gouachen als Collagen, die für reliefhaft haptische Momente sorgen. In ihnen offenbart sich zugleich einer der Anknüpfungspunkte zwischen Tàpies und Prantl.

Die Haptik ist nämlich auch für Karl Prantl ein zentrales Element seiner Arbeit. Hier ist Anfassen erlaubt, ja sogar gefordert. Der im Burgenland geborene und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem Schweizer Exil nach Österreich zurückgekehrte Künstler entdeckt das Eigenleben der Steine und spürt ihm in endlosem Polieren und Glätten der Oberfläche nach. Der Reichtum der formal einfachen Grundformen entwickelt und zeigt sich an der Oberfläche der Kuben oder Stelen. In sanft geschwungenen reliefartigen Erhöhungen lassen sich Adern, Segmentschichten und farbige Einschlüsse ertasten oder laden neben ausgewogenen Rundungen und geraden Flächen zum Sreicheln ein. Die Steine werden zum Anlass sinnlicher Erfahrungen und verführen zum Sehen durch Fühlen, zum Schweigen und Innehalten. Ihr meditativer Charakter speist sich aus der ursprünglichen, archetypischen Suche nach dem Absoluten und bildet eine zweite Parallele zum Œuvre Tàpies‘. Die Werke beider Künstler sind aufgeladen mit geistiger und emotionaler Energie, die sie ohne Umwege an den Betrachter weitergeben.