Arbeit am Ideal

by Kristin Schmidt

Thomas Schütte widmet sich in gewohnt geistreicher, kurzweiliger Weise seinen künstlerischen Vorgängern und dem ganz normalen Lebensalltag. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung präsentiert das Kunstmuseum Winterthur.

Wenn es nach Thomas Schütte geht, müssen auch Terroristen mal Ferien machen, und zwar – als Kontrast zu ihrer Untergrundtätigkeit – in Häusern mit farbenfrohen, transparenten Wänden. Die Formensprache der Architektur der Moderne, ihre Klarheit und Vorliebe für Primärfarben, wird damit ihrer sozialromantischen Assoziationen beraubt – denn wer gönnt Terroristen schon ein Ferienhaus? Ausser Thomas Schütte.

Der 1954 geborene, in Düsseldorf lebende Künstler ist in seinen jüngsten Arbeiten einmal mehr immun gegen die Forderungen der Political Correctness. Auch mit dem hohen Anspruch der Kunst hat Schütte wenig im Sinn. Gezielt widmet er sich geringgeschätzten Techniken. So ist er sich nicht zu fein, mit der Modelliermasse Fimo oder mit Ton zu arbeiten – Material fürs Kindergartenalter oder Werkstoff der Kunsthandwerker. Die breit angelegte Ausstellung mit Schüttes aktuellster Werkphase im Kunstmuseum Winterthur, die anschliessend in Grenoble und Düsseldorf zu sehen sein wird, präsentiert aus diesem Bereich die «Urnen» aus dem Jahre 1999, die im vergangenen Jahr entstandenen «Köpfe» und die Arbeit «You Are My Stars», 1998.

Zu einer Zeit, in der kaum ein Künstler noch Interesse am Medium Ton und seinen Möglichkeiten zeigt, schöpft Schütte aus dem Vollen. Seine Keramiken ertrinken in Glasur, sind extrem bunt. Spritzer, Tropfen und Kleckse bestimmen den Eindruck. Dabei beruhen die Urnen, obgleich sie allein durch ihre Grösse jeglichen Gebrauchsgedanken ad absurdum führen, noch auf bekannten Formen, und die Köpfe stehen trotz ihrer Farbgebung und Grösse in einer dem Antropomorphen verpflichteten Tradition – dagegen konfrontiert «You Are My Stars» mit Ungewohntem. Seltsame Dinge, die da auf dem Boden stehen; sind es Eier, Boviste, geschrumpfte Hünengräber? Es sind Gestalten eines Künstlers, der sich mit den überlieferten Bildern und Formen auseinander setzt und dann seine eigenen, überraschenden Wege geht. Eindrücklichstes Beispiel dafür sind Schüttes Stahl- und Bronzefrauen. Der weibliche Körper, über Jahrtausende hinweg im Mittelpunkt künstlerischen Interesses, schien in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch zu spannenden skulpturalen oder plastischen Auseinandersetzungen anzuregen. Alles schien gesagt. Doch der Gerhard-Richter-Schüler Schütte hat gelernt, hinzuschauen und auf der Basis des Studiums der Natur und von Vorgänger-Werken ein neues Vokabular zu entwickeln. Was er zunächst in kleinen Fimo- und Ton-Bozzetti verwirklichte, wirkt in Überlebensgrösse übertragen wie die reine Provokation. Da werden Liegende plattgewalzt, geköpft oder zerfliessen über seziertischartigen Sockeln, da werden Wirbel zu Rückenflossen, Gliedmassen zu Weichteilen und Schulterblätter zu Filetstücken.

Kunstfreunden und -freundinnen, welche solche künstlerischen Gewaltakte empören, lässt sich entgegenhalten, dass Schütte gerade durch seinen unbefangenen Umgang mit dem, was über Jahrhunderte hinweg als Bild des Weiblichen etabliert wurde, auf Distanz geht zu den Idealen. Zwar erinnern die überdimensionalen Akte nur noch entfernt an die Skulpturen Maillols, Rodins oder Lehmbrucks, und doch ist Schüttes kritische Auseinandersetzung mit den Vätern der Moderne nicht zu übersehen. Es ist der besonderen Situation im Kunstmuseum Winterthur zu verdanken, dass der Besucher auf dem Weg von und zu Schütte an Werken all der Genannten vorbeispaziert. So wird noch einmal evident, was Schütte mit seinen Werken vor- und angedacht hat.