Nur die Landung zählt

by Kristin Schmidt

Aleksandra Mir inszeniert ihre Heimkehr zur Erde. In ihren Werken reist die Künstlerin in luftige Höhen und wieder zurück. Daneben zeigt die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle St. Gallen Arbeiten von Regula Engeler und Patric Kaufmann.

Was haben ein Agatha-Christie-Krimi, eine Clinton-Biografie und die Swissair-Geschichte gemeinsam? Einen himmelblauen Buchumschlag. Die Aufzählung liesse sich endlos fortsetzen mit «Die Maschine. Dein Helfer», «Kleine Sternenkunde» und «Enzyklopädie der Heiligen». Ob spiritistische oder technische Ratgeber: Hilfe von oben versprechende Einbände sollen die Schriften zum kommerziellen Erfolg führen. Eine ganze Bibliothek dieser Verheissungen versammelt Aleksandra Mir in der Kunsthalle St. Gallen und gönnt den Betrachtern die Frontalansicht der blauen Pracht. Geordnet nach farblichen Varianten statt nach inhaltlichen Kriterien ergeben die Bücher ein optisch reizvolles Wandfries, das jedoch mehr ist als visuelle Spielerei.

Es kündet von Aleksandra Mirs grosser Passion, der Luft- und Raumfahrt. Auch wenn die Ausstellung in der Kunsthalle St. Gallen mit ihrem Titel «Welcome back to Earth» die Heimkehr auf irdischen Boden ankündigt, widmet sich die 1967 in Polen geborene und in New York lebende Künstlerin ganz und gar der Fliegerei und damit einer der letzten Männerdomänen. Mit federleichter Ironie nimmt sie sich des maskulin besetzten Feldes an. In ihrem 1999 abgeschlossenen und durch ein Video dokumentierten Projekt «First Woman on the Moon» hisste Mir auf einem niederländischen Stück Küste als erste Frau auf dem Mond die amerikanische Flagge. Was bei Armstrong und Aldrin noch als Akt einer Besatzermacht wirkte, wird bei ihr zu einer grossen Strandparty mit sozialem Charakter. Selbst der jüngste Feriengast schaufelte Sand für den Mondkrater und ist einer von Dutzenden Zeugen für Mirs Ankunft auf dem Erdtrabanten. Ausserdem hat die Künstlerin Fundstücke von der Reise mitgebracht. In zwei sandgefüllten Vitrinen finden sich Muscheln, Latschen und Pillen. Zwar nicht unbedingt Dinge, die auf dem Mond zu vermuten gewesen wären, doch wer weiss, was Armstrong und Aldrin zu finden gehofft hatten. Mir spielt mit den Erwartungen und bleibt offen für alles Unberechenbare. Dies bestimmt insbesondere auch ihr jüngstes Projekt «Plane Landing». Eigentlich sollte es bereits anlässlich der derzeitigen Ausstellung abgeschlossen sein, doch noch künden allein die Computerzeichnungen von dem grossen Experiment. Mit Hilfe des Spezialisten Cameron in Bristol, Erbauer des weltumrundenden Breitling Orbiter II, entsteht ein Ballon in Form eines Flugzeugs. Was zunächst einfach klingt, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, denn kreuzförmige Ballons fliegen eigentlich nicht. Da hilft also nur das Know-how aus Bristol und kräftiges Daumendrücken, denn wenn das Projekt gelingt, sind in New York, Paris, dem Nahen Osten und auch am Seealpsee Landungen des Fliegers geplant. Abgesehen vom technischen Aspekt birgt sich darin ein weiterer für Spannung sorgender Faktor, denn überall werden die Betrachter anders auf das mit Halteseilen in der Landeposition eingefrorene Flugobjekt reagieren. Es kann nur spekuliert werden, ob es in der Schweiz als Symbol für den Swissair-Niedergang, in New York für die Ereignisse im September 2001 und im Nahen Osten als Kriegsmaschine gelesen wird. Also heisst es am 13. September: auf ins Säntis- gebiet!

Zuvor gibt es aber noch einiges in der Kunsthalle zu entdecken. Neben weiteren sehenswerten Arbeiten Mirs sind neu interpretierte Super-8-Filme und das Video «Voyages Opaques» der jungen St. Galler Künstlerin Regula Engeler zu sehen. Die Chronik von Naturkatastrophen bestimmt ein bemerkenswert inszeniertes Wechselspiel aus verwackelten Standbildern und Filmausschnitten. Obgleich statisch festgehalten, geraten die Szenen durch die Art des Filmens in Bewegung und beschwören ihre ursprüngliche Dynamik herauf. In der gross projizierten Nahansicht gelingt es nur schwer, sich der Schönheit der Zerstörung zu entziehen, die doch eigentlich eine Zerstörung des Schönen ist. Ausserdem erwartet die Besucher die neue, steil ansteigende Bar des 1979 geborenen Zürchers Patric Kaufmann, die spätestens nach dem dritten Glas zu einer echten Herausforderung wird. Bar, Treppe, Arena, die zunächst für die Dauer eines Jahres installierte «New Bar» ist für viele Nutzungen offen, was auf weitere interessante Projekte in der Kunsthalle hoffen lässt.