Geschulte Freiheiten

by Kristin Schmidt

In derAusstellung in der Galerie vor der Klostermauer der Thurgauer Malerin Dora Koller ist in jedem Bild spürbar, dass hier eine geübte Zeichnerin mit gut geschultem Blick am Werk ist.

Dora Koller widmet ihre ganze Aufmerksamkeit der menschlichen Aktfigur. Jedoch ist weniger die Anatomie als das Verhältnis der Dargestellten zum Umraum und der Ausdruck einer Körperhaltung ihr Thema. Mal sind die Figuren in ein Liniengewebe eingebettet, mal ist ihnen ein Gegenstand wie beispielsweise eine Vase zur Seite gestellt, um den Raum zu definieren. Koller schafft Bezugspunkte und -systeme, balanciert Bildgewichte aus und organisiert die Flächen. Dennoch verlieren ihre Bilder nie die Leichtigkeit, sondern behalten etwas Spielerisches und Unbeschwertes ganz gleich in welcher Technik sich die gelernte Sekun-darlehrerin aus St.Margarethen TG ihnen nähert. Da gibt es Gemälde mit Ölfarben auf Papier oder Leinwand, Ölfarbenbilder kombiniert mit Bleistift, reine Kohle- und Bleistiftzeichnungen oder Blätter mit Kohle und Kreide. Daneben unternimmt sie auch Experimente wie etwa die Bleistiftzeichnung auf einem grob mit weisser Farbe eingestrichenen Papier.

In ihren Ölstudien setzt Koller Farbflächen aneinander. Figur und Umgebung werden nahezu gleichwertig behandelt, erst der gezeichnete Umriss definiert die Darstellung. In anderen Arbeiten werden helle und dunkle Töne nebenei-nander gesetzt, ohne dass für diese Hell-Dunkel-Inszenierung Licht und Schatten ausschlaggebend sind. Mitunter dienen breite Farbstreifen auch als Kontur und Akzent, doch das Wichtigste bleibt in den Bildern stets die Linie.

Es ist offensichtlich, dass den gezeigten Arbeiten unzählige Stunden des Aktstudiums vorausgehen. Koller hat sich freigezeichnet. Ihr genügt eine einzelne Linie, um den Schwung der Hüfte bis hinauf zum Hals festzuhalten oder die komplizierte Drehung eines Modells auf das Papier zu bannen. Der Bleistift wird niemals steif oder unsicher geführt. Hier sitzt jeder Strich.

Zuweilen werden Körperformen mehrmals umfahren und somit herausgearbeitet, aber auch da bleibt die Dynamik erhalten. Nur in einer vierteiligen Serie gelingt dies nicht: Die Bewegungsstudien einer trommelnden Person fallen gegenüber den Aktdarstellungen etwas ab. Ausgerechnet hier wirken die multiplizierten Linien, die die schnellen Gesten des Trommlers wiedergeben sollen, erstarrt und ohne jegliches Leben. Nicht kurze, harte Linien wie diese sind Kollers Stärke, sondern die zarten und dennoch selbstbewussten Gesten, wie sie etwa in einer sechsteiligen Serie auf farbigem Papier zum Einsatz kommen. Gross sind die Akte ins kleine Format gesetzt. Bleistift und Farbe sind hier auf eine Weise miteinander kombiniert, die zeigt, dass Dora Koller nach ihren Studien bei Karl Fürer in St. Gallen in beiden Medien eine eigenständige und klare Sprache gefunden hat und sie überzeugend miteinander verbinden kann.