Linsen und Lupen im Labor

by Kristin Schmidt

«Kleine Sensationen» im Amt für Lebensmittelkontrolle: Die Installation von Monika Sennhauser wurde in einem Kunst-am-Bau-Wettbewerb für den Neubau des Kantonalen Labors realisiert und nun eingeweiht.

Leise Töne und stille Bilder haben es mitunter schwer in der ständig lauter, bunter und grösser werdenden Alltagshektik. Zu leicht sind sie zu überhören oder zu übersehen. Und doch verpasst, wer achtlos an ihnen vorübergeht, mitunter etwas ganz Grosses. So kann es einem mit diesen «kleinen Sensationen» ergehen. Im Eingangs- und Aufenthaltsbereich des Laborgebäudes begrüsst das Werk die Eintretenden, aber nur die, die genau hinschauen. Monika Sennhauser montierte je sechs Fresnel-Linsen in Augenhöhe auf den je drei Fenster- und Türflächen. Fresnel-Linsen sind starke wie massive Linsen, aber leicht und flach wie Papier. Ihre Oberfläche ist mit konzentrischen prismatischen Rillen versehen, die das Licht sammeln oder zerstreuen.

Über 200 Linsen testete die St. Galler Künstlerin, bis sie entschied, die beeindruckende Erfindung des französischen Physikers Fresnel zu verwenden. Ihr Verfahren lässt sich nicht nur mit der im Labor betriebenen Arbeitsweise vergleichen, sondern ist zugleich ein Ausdruck ihres wissenschaftlichen Interesses und reflektierten Herangehens. Von Anfang an war sie sich der Herausforderung bewusst, dem Bau der Zürcher Architekten I+B Architekten etwas gleich Starkes an die Seite zu stellen. Zwar sind ihre in die Scheiben eingesetzten Linsen ein kleiner Eingriff, doch einer, der ob seiner Präzision überzeugt. Die Linsen greifen sowohl eines der Hauptthemen eines Labors auf, nämlich die Sicht ins Kleine, und entwickeln aber auch eine starke räumliche Präsenz. In ihrer grössenmässig aufsteigenden Anordnung üben sie geradezu einen Sog auf den Eintretenden aus. Zuerst sieht er sich den sechs kleinsten Linsen gegenüber. Sie zeigen die Realität verkleinert, plötzlich ist die gesamte Umgebung in einer nicht einmal handtellergrossen Fläche eingefangen. Auf den Windfangtüren dann zeigen etwas grössere Linsen die Welt auf dem Kopf und entfalten beim ganz nahen Hinsehen eine Lupenwirkung. Gleiches gilt für die am grossen Aussenfenster und der Schiebetür zum Rasensitzplatz angebrachten Linsen. Hier ist jedoch der Lupeneffekt nochmals verstärkt.

Monika Sennhausers Werk verführt dazu, sich zu bewegen: näher hinzuschauen und wieder Abstand zu nehmen, beide Seiten der Linsen zu betrachten und spielerisch unterschiedliche Hintergrundbilder zu fixieren. Reale und künstliche Bilder überlagern und durchdringen sich. Kaleidoskopartig zeigen sich je nach Distanz immer wieder neue Motive. Eine weitere Dimension erhalten die Bilder, wenn sich die betrachteten Bilder, die Passanten, Autos oder Bäume bewegen. Die Linsen lassen Abstände verschwinden und holen die Aussenwelt ins Haus, dem Aussenstehenden gewähren sie Einblicke. Paul Cézanne prägte für diese Phänomene die Worte «Kleine Sensationen», eine Bezeichnung, die Monika Sennhauser ohne weiteres für ihre Arbeit in Anspruch nehmen kann.