Minusgrade im Museum

by Kristin Schmidt

Der Franzose Pierre Huyghe hat für das Kunsthaus Bregenz eine alle Sinne ansprechende Landschaft entworfen. Antarktis, Lightshow und Eissporthalle geben sich ein Stelldichein.

Eis ist vergänglich. Ausstellungen sind es ebenfalls. Pierre Huyghe spielt mit dieser Analogie, denn seine Einzelpräsentation im Kunsthaus Bregenz wird ihr eigenes Herzstück überleben.

Zur Vernissage stand es noch in voller kristalliner Schönheit: ein Motorboot aus Eis. In einem unglaublichen Kraftakt wurde das in Frankreich geschnitzte Schiff in vier Blöcken nach Bregenz gebracht, dort im ersten Stock des Museums installiert, um nun langsam, aber stetig zu schmelzen. Bereits eine Woche nach der Eröffnung kündet nur noch ein nasser Fleck und bald darauf überhaupt nichts mehr von seiner ehemaligen Existenz. Was bleibt, ist die winterliche Atmosphäre des Raumes, denn der französische Künstler lässt es durch die Decke regnen, schneien und nieseln. Lichtblitze durchzucken den Raum, begleitet von dunklem Donnergrollen.

Pierre Huyghe gehört zur jüngeren, multimedial arbeitenden Künstlergeneration. In einem Prozess der wissenschaftlichen Recherche und künstlerischen Montage setzt er sich mit unterschiedlichen kulturellen und sozialgeschichtlichen Quellen auseinander und arbeitet auf der Basis bestehender Filme oder realer Personen. Während seine bisherigen Arbeiten oft eine ausgeklügelte Licht- und Tonregie aufwiesen, sind in Bregenz auch Naturgewalten Teil der Gesamtkomposition, die in diesem Falle musikalisch zu verstehen ist. Huyghe nennt seine eigens für die vier Etagen des Hauses geschaffene Installation «L’expédition scintillante. A Musical» («Die funkelnde Expedition. Ein Musical») und gibt damit auch Prolog und drei Akte vor.

Der Prolog, die unscheinbare und doch grosse schwarze Box im Erdgeschoss, verbirgt die Steuerung für die Choreografie dessen, was der Besucher auf seiner Reise durch die Stockwerke erlebt. Wer die frostige Luft, die plötzlich von oben herab rauschenden Wasser- und Schneemassen und die Tragik des schmelzenden Eisschiffes hinter sich lässt, den erwartet im zweiten Obergeschoss eine psychedelische Lightshow.

Doch statt den gesamten Raum zu beleuchten, konzentriert der Künstler die Kraft des Lichtes. Wie der kostbare Inhalt eines Schreins oder ein sich ständig veränderndes Gemälde wirken die Nebelwölkchen im Licht aus 300 Schein- werfern. Die Hintergrundmusik von Erik Satie, orchestriert von Claude Debussy, trägt das ihre zum sinnlichen Umgarnen des Betrachters bei. Im dritten Akt schliesslich blinkt die Deckenbeleuchtung zu elektronischen Klängen von Brian Eno über einer schwarzen Eisfläche, daneben fasst ein überdimensionales Poster den Parcours artifiziell zusammen, angefangen vom Schiff bis hin zu den Pirouetten und Schwüngen der zwei Eiskunstläuferinnen am Eröffnungsabend.

Während Pierre Huyghe auf den anderen Ebenen Bilder schuf, die umso aussagekräftiger wurden, desto weniger wörtlich sie genommen wurden, nimmt er den Betrachter hier etwas zu fest an die Hand. So erklärt er in einem illustrierten Büchlein, welches die möglichen Assoziationen zu dieser Reise durchs Kunsthaus sind. Da wird auf Edgar Allan Poe ebenso verwiesen wie auf Caspar David Friedrich oder Jules Verne, die Romantik wird genannt, Schwarze Löcher und Franz von Assisi. Die Arbeit zeigt sich in die europäische Kultur eingebettet. Doch gerade deshalb und aufgrund der sorgfältigen, alle Sinne ansprechenden Inszenierung funktioniert sie auch ohne Anleitung. Das Programmbuch nimmt der Installation nachträglich einiges von ihrer Imaginationskraft und ihrer Offenheit. Obgleich er selbst sich von Zonen des Nicht-Wissens fasziniert zeigt, verweigert der Künstler dem Betrachter diese Bereiche. Aber abseits des publizierten Kodes besitzt die Ausstellung das Potenzial, ein nachhaltiges Erlebnis im Raum zwischen Illusion, Fiktion und Wissen zu werden.