Es war einmal: Ein weisser Saal

by Kristin Schmidt

Katharina Grosse sprengt die Dimensionen des Tafelbildes. Das Kunstmuseum St. Gallen widmet der international agierenden deutschen Künstlerin die erste Einzelausstellung in der Schweiz.

Über das Ende der Malerei wurde viel geschrieben. Ebenso viel von ihrer Wiedergeburt. Aber war sie je tot? In den vergangenen Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass es kein letztes Bild gibt, sondern Bilder nur immer öfter mit anderen Mitteln erzeugt werden. Trotzdem haben Videos, Fotografien und Computer die Gemälde nicht vollständig verdrängen können. Vor allem die jüngeren Malergenerationen zeigen unter dem Konkurrenzdruck der neuen Medien, dass die traditionsreiche Technik noch immer aussagekräftig ist und sinnliche Qualitäten besitzt, die so leicht mit anderen künstlerischen Mitteln nicht erreicht werden können. Erlebbar wird dies anhand der Werke von Katharina Grosse im Kunstmuseum St. Gallen.

Der Titel der Präsentation «Der weisse Saal trifft sich im Wald» verrät nicht viel, aber macht neugierig und deutet bereits auf das Herzstück der Ausstellung. Schon im ersten Ausstellungsraum, der mit den Gestaltungsideen der 1963 in Freiburg im Breisgau geborenen Künstlerin bekannt macht, fühlt man sich magisch angezogen vom grossen, aber nicht mehr ganz weissen Saal des Museums und dem dort wuchernden, dichten Farbgewächs. Katharina Grosse setzte sich als Kunststudentin mit den unterschiedlichs-ten Techniken auseinander. Dabei kristallisierte sich ihre Vorliebe für reine Farben und für Bewegung heraus. Ein Jahrzehnt später sind diese beiden Grundbedingungen der Malerei die Konstanten ihrer Kunst. Mit grossem, regelmässigem Schwung führt Grosse den Pinsel oder die Malerbürste. Gleichförmige Farbbahnen überziehen die Leinwand. Nichts verdeckt den Prozess, der zum Bild führt.

Mit den Augen lässt sich jeder Zug des Malgerätes rekonstruieren. Trotzdem bleibt es ein wenig rätselhaft, wie die Künstlerin diese riesigen Flächen mit einer derart gleichmässigen und doch manuell erzeugten Struktur überziehen kann. Besonders fällt dies auf bei einem eigens für St. Gallen geschaffenen Bild. Es ist eine mit Pink eingefärbte Leinwand, die mit einem Bronzeton überstrichen wurde. Die zweite Farbe bedeckt die erste fast völlig und scheint dem Betrachter die Sicht auf das eigentliche Bild zu verwehren. Je nach Lichtverhältnissen im Raum leuchten kleine Streifen Pink in der Fläche auf und rhythmisieren die ansonsten fast monochrome, riesige Fläche. Erst beim zweiten Blick wird bewusst, dass dieses Gemälde niemals durch die Türen des Raumes passt, in dem es zu sehen ist. Nur wenige Zentimeter trennen es von der Decke. Hier verschwimmen die Kategorien Tafelbild und Wandbild. Möglich war dies nur, weil Katharina Grosse das Bild vor Ort realisiert hat, sie hat das Kunstmuseum zu ihrem Atelier erklärt. Mehr noch, sie hat es erobert, hat die weissen Wände zu ihrem Malgrund gemacht. Seit vier Jahren befreit sie sich immer wieder vom Diktat der begrenzten Leinwand. Während ihre erste Wandarbeit noch aus einem dunkelgrünen Farbton bestand, verbinden sich nun mehr als ein Dutzend Töne zu einem unverwechselbaren Farberlebnis. Bewältigen lassen sich die Flächen nicht mit Pinsel, Bürste oder Spraydosen. Katharina Grosse braucht Kompressor und Spritzpis-tole. Zu feinstem Sprühnebel zerblasen, legen sich die Pigmente wie ein Schleier in den ganzen Raum. Eine besondere Herausforderung begegnete ihr in St. Gallen, da der Oberlichtsaal des Hauses von einem markanten Gesims geprägt ist. Tatsächlich hat sich die Architektur der Künstlerin nicht bedingungslos ergeben. Die Ornamente des Gesimses treten nun sogar noch stärker hervor. Das Werk wirkt nicht nur bunter als frühere Wandarbeiten, sondern auch leichter. Graphische Elemente gewinnen die Oberhand. Die Farbfläche ist weniger dicht und lohnt deshalb einen Blick aus der Nähe. Erst aus einem halben Meter Entfernung offenbart sich der Mikrokosmos der Arbeit. Und man fühlt sich ein bisschen wie der Entdecker der Grundbausteine des Grossen Ganzen.