Ein Rattan-Auto und nichts drin

by Kristin Schmidt

Die New Yorkerin Rita McBride präsentiert unter dem Titel «Naked Came the Stranger» ihre raumgreifenden Skulpturen in der neuen Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein.

Es gibt hierzulande wohl kaum jemanden, der noch nie eine Zehn-Franken-Note in der Hand hatte, jenen Schein nämlich, den das Antlitz Le Corbusiers ziert. Doch die allerwenigsten werden schon einmal einen Schritt gesetzt haben in eines der berühmtesten Bauwerke des Schweizer Architekten: die Villa Savoy in Poissy. Diese weite Reise ist nun nicht mehr nötig, denn Rita McBride hat für das Kunstmuseum Liechtenstein ihre Version der Villa entworfen.

Reduziert auf die Eingangssituation mit Treppenstufen, Säulengang und die für Le Corbusier typische schräge Ebene ist das massstabsgetreue Fragment so im Erdgeschoss des Kunstmuseums Liechtenstein platziert, dass der Betrachter hindurchgehen muss. Damit öffnet die 1960 geborene Künstlerin den Blick nicht nur für Design und Dimension der Villa, sondern auch auf die Sammlung und das Museum in Liechtenstein. Sie verwendet die nüchterne Architektur als Folie für ausgewählte Stücke aus dem Museumsdepot. Werke von Joseph Beuys oder Gerhard Richter lässt sie ebenso in Dialog mit der Installation treten wie Skulpturen von Zeitgenossen Le Corbusiers wie Wilhelm Lehmbruck oder Umberto Boccioni.

Obgleich Rita McBrides Arbeit die skulpturalen und musealen Qualitäten der zitierten Architektur unterstreicht, ist sie nicht als Hommage zu verstehen. Kritisch untersucht sie das Verhältnis von Form zu Inhalt und kommentiert die idealistischen Konzepte der Moderne beispielsweise mit einem pickelartigen Auswuchs an einer der sonst makellosen Säulen oder den künstlich herbeigeführten Gebrauchsspuren im Fussbodenbelag. Rita McBride fragt nach dem Sinn, der Funktion und schliesslich der physischen und psychischen Wirkung von Proportionen, Orten und Architektur. So verbannt sie in einem anderen Werk PacMan, Flipper und Co. von der Bildfläche und zeigt die reine, monochrome Form von Spielmaschinen. Mit einem Mal wird die unheimliche Grösse dieser Geräte bewusst. Ebenso wirkt der aus Rattan geflochtene «Toyota» geradezu riesig. Obgleich bar seines Inhaltes oder gerade weil es nur in zeichenhaften Konturen daherkommt, entlarvt dieses Auto das Funktionsprinzip von Statussymbolen. Auch den violetten Markisen an der Museumswand fehlen wesentliche Details: Im Museum sind sie weder Sonnen- noch Regenschutz. In ihrer sinnentleerten Form paraphrasieren sie einen künstlichen Minimalismus und zeigen zugleich die übermächtige Präsenz und Kraft von Reklame, indem sie hier nun plötzlich fehlt. Während Auto, Markise und Spielautomat ihrer Funktionsfähigkeit beraubt sind, ist die «Arena» ein ausgesprochen praktisches Kunstwerk. Das monumentale und doch leicht wirkende Gebilde im Obergeschoss spreizt sich wie ein Dinosaurierskelett in den Raum hinein, auf dass es zum Leben erweckt wird. Das halbkreisförmig geschwungene Knochengerüst lädt ein, es zu ersteigen und zu besitzen. Der Besucher wird Teil der Skulptur, er wird Akteur oder Zuschauer. Waren die Arenen antiker Zeit mit dem Bewusstsein um Dynamik und Aggressionspotenzial von Menschenmengen an den Stadtrand verbannt, so ist das Exemplar hier an prominent zentraler Stelle positioniert.

In Liechtenstein kann man offenbar mit der Disziplin heutiger Museumsbesucher rechnen und hat ein vielseitiges Begleitprogramm zur Ausstellung entwickelt, für das die «Arena» Kulisse und Zuschauerraum bildet. Als eines der sorgfältig ausgewählten Beispiele aus Rita McBrides aktuellem Schaffen wird sie sinnvoll genutzt und zeigt einmal mehr, wie gut man in Liechtenstein mit der eigenen Museumsarchitektur umzugehen weiss. Begleitet wird die Ausstellung vom Buch «Naked Came the Stranger», das weniger Katalog als Roman ist. Im Stil der Trivialliteratur setzten sich dreizehn Autoren mit der Arbeit der amerikanischen Künstlerin auseinander.