Der Mensch in Helldunkel

by Kristin Schmidt

Der Rheintaler Adam Keel und die Zürcherin Maria Török bilden ein beziehungsreiches Gespann in der neuen Doppel-Ausstellung des Museums im Lagerhaus St. Gallen.

Adam Keel ist ein aufmerksamer Beobachter seiner Zeitgenossen. Doch weniger ihre äussere Gestalt interessiert ihn als vielmehr ihr Wesen und ihr Verhalten – die feinen Nuancen im Umgang miteinander, Freud und Leid des Zusammenlebens.

Der 1924 geborene Schweizer, der seit Beginn der Sechzigerjahre im Rheintal lebt, setzt monochrome Farbflächen so aneinander, dass sich niemals zwei ähnliche Farben oder zwei gleich helle Flächen berühren. Am offensichtlichsten wird dieses Prinzip in seinen Papierschnitten, von denen knapp zwanzig im Museum im Lagerhaus zu sehen sind. Jedes Gesicht und jede Pflanze ist aus alternierenden weissen und schwarzen Flächen zusammengesetzt. Trotz der Verwandtschaft mit dem Scherenschnitt strahlen Keels Papierschnitte nichts von heimeliger Stammbuchästhetik aus. Stattdessen erinnern sie an die ausdrucksstarken, emotionsgeladenen Holzschnitte der deutschen Expressionisten. Die Gesichter bestehen kaum aus mehr als zwei Punkten, einer strichförmigen Nase und einem Fleck anstelle des Mundes, und doch besitzt jedes seinen eigenen, starken Charakter. Adam Keel hatte früh den Wunsch, Künstler zu werden. Aber die schwierige wirtschaftliche Lage zwang ihn, als Fabrikarbeiter sein Geld zu verdienen. Die Kunst blieb zunächst Nebensache, 20 Jahre lang, 1961-1981, musste er ganz auf sie verzichten. Die ausgestellten Aquarelle von 1961 zeigen jedoch, dass Keel bereits vor der langen Schaffenspause seinen Stil gefunden hatte. Die abstrahierten, frühen Porträts leben vom Wechsel geschlossener heller und dunkler Flächen, wie er später in den Papierschnitten zum dominierenden Gestaltungsmittel wird und abgewandelt in den späten Buntstiftbildern zum Einsatz kommt. Ein ähnliches Gestaltungsprinzip verwendet Maria Török. Während Keel jedoch oft nur zwei Farben einsetzt und der Buntstiftduktus sichtbar bleibt, fügt Török in ihren jüngsten Arbeiten homogene Farbflächen zu kunterbunten Figuren zusammen.

Dabei begann die in Ungarn geborene Zürcherin, Jahrgang 1907, im Alter von 46 Jahren mit monochromen Bleistiftzeichnungen. Die Striche werden zu dichtem Geflecht verwoben, feste Konturen stehen neben offenen ungegenständlichen Bildstrukturen. In den Werken der Sechzigerjahre breitet Török mit wenigen dunklen Tönen dichte Traumwelten aus. Mit der Zeit wird die Palette reicher und heller. Ausserdem stehen die zuvor in einem labyrinthischen Dickicht gefangenen Formen bald allein, bis ihnen schliesslich regelrecht Leben eingehaucht wird. Als Einzelfiguren, Dialogpartner oder zu dritt bevölkern sie die Serie der Tao-Bilder. Vor weissem Hintergrund agieren sie als «Phänomene aus dem Nichts», wie die Künstlerin sagt. Mal humorvoll, mal melancholisch und mit poetischen Titeln erzählen sie vom Leben.