Das Unbewusste ist des Pudels Kern

by Kristin Schmidt

Stefan Inauen hat die Seite gewechselt, zumindest teilweise. Der Künstler hat eine Ausstellung kuratiert. In einer sehr persönlichen Auswahl präsentiert er Kraftvolles in kleinen Räumen.

Schösse der Fussball aus dem Trichter, träfe er einen halben Meter weiter auf die Zimmerdecke und prallte zurück in den Trichter. Oder nicht? Roman Signer hat den Ball im Stahlrichter versenkt, Stefan Inauen hat den Trichter im ehemaligen Restaurant Eintracht platziert. Alles weitere bleibt offen. Signers Arbeit wartet mit unheimlich grosser Energie auf, potentieller Energie, deren Kraft unterstrichen wird, indem der Raum ansonsten kahl und leer bleibt. Umso mehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf den nicht sehr grossen Abstand zwischen Trichterrand und Zimmerdecke. Was wäre wenn?
Raum für Spekulation, für eigene Gedanken, für einen direkten, unmittelbaren Dialog mit der Kunst: Das funktioniert in «Night Collection» in jedem Raum aufs Neue. Stefan Inauen zeigt diese nächtliche Sammlung im ehemaligen Restaurant Eintracht in Appenzell, das freilich seit fast 25 Jahren nicht mehr als solches betrieben wird. Zwar ist das verwinkelte Haus mit den typischen niedrigen Deckenhöhen nicht der Anlass für die Ausstellung, aber der passende Ort. Im Erdgeschoss haben Michael Bodenmann und Barbara Signer zum vierten Mal ihre Bar «el gato muerto» aufgebaut. Noch nie war dafür so wenig Platz wie hier; denn selbst wenn der Grundriss gleich bleibt, wirkt die niedrige Deckenhöhe als Verdichter. Schon deshalb ist beim neuerlichen Baraufbau ist also keine Langeweile aufgekommen. Ausserdem wurden Flyer durch Fotos ersetzt, Manch Altes ist geblieben, Neues hinzugekommen. Geschichten schreiben sich so fast von selber ein, auch die Atmosphäre wird mühelos durch die Zeit transportiert. Dieses Zusammenspiel ist es auch, das die kleine, aber reich ausgestattete Bar zu einem wichtigen Stück der «Night Collection» macht.
Stefan Inauen trägt das Thema schon länger mit sich herum: Wo zeigt sich das Unbewusste in der Kunst? Wann ist der Draht zu sich am unmittelbarsten? Wie äussern sich die unverfälschten kreativen Momente auf der Leinwand, in der Plastik und im Film? Die Nacht im Ausstellungstitel ist dabei nicht unbedingt wörtlich zu nehmen, sondern als Verweis auf jene Zeit, in der das kritische Ich keinen Zugriff auf das Unbewusste hat, in der das begriffliche, logische Denken einem anderen, unbeeinflussten Strom des Denkens weicht. In Schlaf und Traum ist das Bewusstsein zurückgedrängt, hier bricht sich Bahn, was sonst nur kanalisiert zutage tritt. Dieser besondere Zustand ist für Künstlerinnen und Künstler schon länger interessant. So versuchten etwa die Surrealisten das Bewusstsein abzuschalten oder zumindest im Rausch auszublenden. Schlaf und Traum sollten in einen ungesteuerten, unzensierten Schaffensprozess übergehen.
Gar nicht so leicht und auch nicht unbedingt mit den surrealistischen Methoden zu erreichen. Stefan Inauen setzt deshalb auf etwas ganz Anderes. Seine Auswahl zeigt Werke, die eine grosse künstlerische Energie transportieren, die unverfälscht und autonom daherkommen und daher sehr direkt wirken. So schielt die hier gezeigte Malerei von Vittorio Brodmann, Armen Eloyan oder die von Inauen selbst nicht auf Aussenwirkung oder Verkaufserfolge. Sie kommt roh und wild daher, auf kleinen Kartonstücken und grossen Leinwänden, gegenständlich oder als pure Lust an der Malerei. Ebenso unverblümt und sogar untransportabel steht Armen Eloyans Pool aus ungebrannten Tonziegeln auf den alten Dielen. Hier im Eintracht ist er am richtigen Ort. Immer wieder gehen die Arbeiten eine ästhetische Symbiose ein mit der Farbe der Wände, dem besonderen Licht der kleinen Räume, ihren Dimensionen oder ihren Alterserscheinungen. Bodenmanns kleine Zeichnungsserie liest sich plötzlich wie ein Kommentar auf die Grundrisse, Barbara Signers Frauenfigur im Video «Golden Cage» hockt genau richtig unter dem Dachspitz und der verrostete Pudel von Fabian Marti kommt zwischen Tür und Fenster genau richtig zur Geltung. Mit eiserner Hand wurde das Tier gepackt, was hat es nur angestellt? War es genauso eigensinnig, unangepasst wie es dieses Ausstellungsprojekt ist? Letzterem jedenfalls ist kein Rauswurf zu wünschen, sondern eine Fortsetzung.