Zweckbauten neu definiert

by Kristin Schmidt

Ilona Ruegg transformiert für eine Ausstellung in der Kunsthalle Arbon Mobiliar aus ihrem eigenen Atelier. Die Installationen passen so perfekt in den rohen Industriebau wie die Fotos aus der Arbeitswelt des Teilchenphysikers James Beacham.

Bauten sind statisch, Bauten stehen, Bauten haben Bodenhaftung. Sie unterliegen physikalischen Gesetzmässigkeiten, sie folgen im Normalfall einer konstruktiven und einer Materiallogik. Ilona Ruegg, 1949 in Rapperswil geboren, unterwandert die Logik des Bauens. In der Kunsthalle Arbon installiert sie Anomalie und Lager: zwei Raumelemente, die sich mit Fragen des Bauens, des Zwecks, des Nutzens und der Ästhetik auseinandersetzen.

Die Konstruktion Lager mutet standfest an. Dafür sorgen vier stabile Vierkantstreben, zwei verbindende Plattformen und ein zusätzlicher Quader an einer der beiden Stirnseiten. Aber die Konstruktion steht nicht, sie hängt an Spanngurten vom Hallendach herab. Sie schwebt knapp einen halben Meter über dem Boden, genau an einer Stelle, an dem im Beton ein Viereck ausgespart und mit Holzbrettern ausgestattet ist.

Damit lenkt die Künstlerin zunächst den Blick auf den Ausstellungsraum, auf die unsanierte Industriehalle, die ganz ihrem Zweck unterworfen war, der nun aber nicht mehr ersichtlich ist. Wodurch sind die Unebenheiten im Boden entstanden? Was verbirgt sich unter den Holzbrettern? Hing ursprünglich etwas in der Halle? Was spielte sich unter den massiven T-Trägern ab?

Umnutzung mit doppeltem Wert

Dass Kultur einzieht, wo früher produziert wurde, ist längst keine Seltenheit mehr. Mit dieser Umwidmung stillgelegter Industriehallen wird oft mehr gewonnen als ein Raum: Die zweckorientierte Ästhetik der Bauten, ihre produktive Atmosphäre liefert wertvolle Anknüpfungspunkte für künstlerische Auseinandersetzungen.

So setzt Ilona Ruegg ihre Arbeit in einen deutlichen Kontrast zum grossen Raumvolumen der Halle, zu den gealterten Strukturen und den rein durch den Nutzen bestimmten Farben. Zusätzlich zur ungewöhnlichen, hängenden Position hat sie den stirnseitigen Quader von Lager ebenso mit Alufolie überzogen wie Teile von Anomalie.

Bei letztgenannten Werk sind einzelne Bauteile zusätzlich mit einer Tarnbeschichtung überzogen. Ausserdem fügen sich Fenster auf Kniehöhe, eine erratische Dachschräge und ohne Zweckbestimmung bereitgelegte Platten zu einem vielgestaltigen Raum. Eine Säule der Halle wurde auf selbstverständliche Weise integriert und lässt sich als Verweisstück auf die Architekturgeschichte lesen.

Ilona Ruegg antwortet nicht mit frei erfundenen Konstruktionen auf die starke Ausstrahlung der Halle. Beide entstammen ihrem Atelier: Lager diente früher als Hochbett, der Quader im Unterbau als Schrank. Anomalie besteht aus einem Hochsitz, der 2017 bei der Biennale im Kulturort Weiertal zu sehen war, sowie aus einer Arbeitsplattform, ebenfalls aus dem kürzlich verlassenen Zürcher Atelier der Künstlerin.

Ilona Ruegg war bereits an vielen Orten tätig; diesem nomadischen Arbeiten entsprechen die gezeigten Holzkonstruktionen. Sie sind mobil, sie sind leicht, sie besitzen provisorischen Charakter und bilden auch mit diesen Eigenschaften einen Kontrast zu den massiven Strukturen der Halle. Ebenso wie jene sind sie aufs Arbeiten ausgerichtet und doch von einem vollständig anderen Anspruch an den gebauten Raum getragen.

Baustellen und Kabelgewimmel

Mit Arbeitswelten und deren Ästhetik setzt sich auch James Beacham auseinander. Ilona Ruegg steht seit längerem mit dem 1977 geborenen Filmemacher und am CERN tätigen Teilchenphysiker im Austausch. Mit seinem Ausstellungsbeitrag «Nothing Was Always There» verbindet er Landschafts- und Stadtbilder aus der Schweiz, Frankreich, den Vereinigten Staaten und Estland zu einer Collage. Aufnahmen von Fabrikhallen, Baustellen, Industriezonen werden mit Nahaufnahmen von Bodenstrukturen, Kabelgewimmel, technischen Anlagen oder Abflussrohren kombiniert.

Mal rückt die Ästhetik eines funktionellen Rasters in den Blick, mal die Tristesse der Produktionsstandorte. Bau- und Arbeitswelten kommen damit in der Ausstellung nochmals auf andere Weise, aber ebenso schlüssig zusammen.