Ohne geht es nicht

by Kristin Schmidt

Schlitzwände und Koffein – beides braucht es für das Kunsthaus Bregenz. Davon ist in den Ausstellungssälen normalweise nichts zu sehen. Dora Budor ändert das. Die in New York lebende Kroatin holt ans Licht, was sonst im Hintergrund bleibt.

Bregenz — Sandpapier, dunkelgrau, anthrazitfarben; darauf mit weiss: Linien, zu Knäueln geballt, zu unentwirrbaren Netzen verwoben, dann wieder ausfasernd in zarten Strichen, gekritzelt und gezeichnet. Das pulvrige Zeichenmaterial ist am Sandpapier haften geblieben, hat Spuren hinterlassen, mitunter haben sich kleine Brocken gelöst. Dora Budor (*1984) zeigt ‹Love Streams›, 2022 im obersten Stockwerk des Kunsthaus Bregenz. Die ein Dutzend gerahmten Sandpapierblätter sind in der Ausstellungsgeschichte des Hauses eine vergleichsweise kleine Arbeit und doch eine der eindrucksvollsten und persönlichsten. Dora Budors Zeichenmaterial ist Escitalopram. Das Medikament erhielt die Künstlerin zur Behandlung einer depressiven Erkrankung und einer Angststörung. Indem sie gegen den physischen Widerstand des Sandpapiers anzeichnet, drückt sie expressive, fragile und dichte Spuren ihrer Krankheit einerseits aus und das Aufbegehren gegen die damit einhergehenden Zwänge andererseits. Die Intensität von ‹Love Streams› steigert sich noch durch den Sound im Ausstellungsraum. Der, so wird im Saaltext informiert, stammt von ferngesteuertem Sexspielzeug, das unter dem Titel ‹Termites›, 2022 im Belüftungssystem des Hauses platziert ist – unsichtbar zwar, aber nicht weniger präsent: Die erzeugten Vibrationen dringen als dumpfes Wummern in den Ausstellungsraum und verbinden sich eindringlich mit den dort gezeigten Werken. Zugleich stehen auch sie für Dora Budors Hauptthema in Bregenz: Die Künstlerin holt Vorgänge aus dem Verborgenen ins Licht. Sie zeigt Abläufe und Strukturen, die im Hintergrund funktionieren oder zum Funktionieren notwendig sind, aber kaum je öffentlich bekannt oder sichtbar werden. Das gilt auch für die Schlitzwände des Kunsthaus Bregenz. Sie ziehen sich ums gesamte Fundament und verhindern, dass sich die Statik der angrenzenden Gebäude verändert und bieten Platz für die Pumpen gegen einsickerndes Grundwasser. Dora Budor hat Abdrücke dieser Schlitzwände genommen und zeigt mit der mehrteiligen Arbeit ‹Kollektorgang› diese Negativformen. Und sie hat den Kaffeesatz, der sich in Verwaltung und Café angesammelt hat, zu Pucks pressen lassen. 300 dieser Scheiben liegen auf dem spiegelblanken Boden im zweiten Obergeschoss. Kaffee als Aufputschmittel: Einmal mehr zeigt Budor, was notwendig sein kann für den Betrieb komplexer Systeme – zu denen Gebäude und Institutionen ebenso gehören wie der menschliche Körper.