Die Transformation im Galerieraum

by Kristin Schmidt

Andrea Vogel zeigt aktuelle Werke in der Galerie Adrian Bleisch in Arbon. Sie sind teilweise für und in Arbon entstanden. Die performative und transformierende Arbeit der Künstlerin und ihre Auseinandersetzung mit textilen Materialien schreibt sich in ihnen weiter.

Ein Galerieraum muss vielen Ansprüchen genügen. Er dient der Kunst, dem Kunstmarkt, er ist Showroom und Gastraum. Andrea Vogel hat die Galerie Adrian Bleisch auf ihre räumlichen Qualitäten hin untersucht und sich künstlerisch mit ihnen auseinandergesetzt. Wände, Boden, Fenster, aber auch das Mobiliar und das Gesamtgefüge fliessen in ihre Arbeit ein. Zwei massive Stellwände sorgen in der grossflächig durchfensterten Galerie für zusätzliche Hängeflächen. Sie sind ganz ihrem Zweck untergeordnet und stehen frei im Raum. Andrea Vogel hat beide Wände mit einer Installation zusammengeführt. Das Ausgangsmaterial ist sind nicht nur die Wände, sondern auch eine Topfpflanze aus dem Galerieinventar und zusätzlich Stretch-Tüll – ein Material, das die Künstlerin seit einiger Zeit künstlerisch transformiert. Für die Ausstellung in der Galerie Adrian Bleisch spannt sie es diagonal zwischen die beiden Wände und legt die Pflanze samt Topf hinein. Wie in einer Hängematte schwebt die Grünpflanze frei im Raum. Die Spannung des dehnbaren textilen Materials überträgt sich in den Raum, verbindet die Wände und damit die gesamte Ausstellungsfläche wie eine grosse Klammer. 

Stretch-Tüll dient Andrea Vogel als Material für Performances, für ephemere, physische Aktionen, die sich im textilen Werk manifestieren. So sprayt die Künstlerin schwarze Farbe auf den Tüll, während sie diesen in die Länge zieht, Falten gezielt hineinlegt oder zufällig entstehen lässt. Die performative Handlung wird in dem Moment fixiert, in dem sie entsteht: Die Farbspuren auf dem weissen Stoff sind einerseits Zeugnisse des Prozesses und andererseits eigenständige, malerische Untersuchungen. Diese Verschmelzung von Performance und Malerei, von Materialrecherche und ästhetischer Untersuchung sind Konstanten im Werk der Künstlerin. In der Ausstellung «Stretch Your Mind» manifestieren sie sich auch in den Arbeiten mit Frotteetüchern: Diesen Gebrauchsartikeln wohnt in ihrer Bestimmung eine performative Bedeutung inne. Sie dienen dem Abtrocknen des Körpers, zugleich sind sie mit zeit- und funktionstypischen Designs ausgestattet. Andrea Vogel orientiert sich an diesem Handtuchgestaltungen mit ihren floralen, geometrischen oder ornamentalen Mustern und überführt sie mit ihren Überarbeitungen in eine neue Qualität. Mit schwarzer Ölfarbe überstreicht sie die Muster, konterkariert sie mit Aussparungen und neuen Formerfindungen, die aus den bestehenden abgeleitet sind. Ein Kontrast entsteht zwischen dem Schwarz und der vorhandenen, meist üppigen Farbigkeit: Sie tritt durch das Schwarz noch stärker hervor. Zudem kontrastiert die glänzende, deckende Ölfarbe mit der offenen Frotteestruktur. Letztere besitzt in einigen Fällen durch eingewobene Ornamente sogar Reliefcharakter und führt einen Dialog mit der Malerei. Deutlich zeichnen sich in diesen Arbeiten die Resultate künstlerischer Entscheidungsprozesse ab: Wo hat Andrea Vogel interveniert? Wo hat sie neu kreiert? 

Die künstlerische Entscheidung findet jedoch auch dann statt, wenn Vogel nicht ins Material eingreift. In Arbon weckte das Gebäude des ehemaligen Hotel Metropol ihr Interesse. Auf Anfrage erhielt sie Gelegenheit, das Gebäude zu besichtigen und die Vorhänge des längst geschlossenen Hotels für ihre Arbeit zu nutzen. Lange verdunkelten sie die Zimmer. In breiten Falten hingen die schweren Stoffe vor den Fenstern. Die Sonne erreichte manche Stellen des Stoffes besser, andere blieben im Schatten. Auf diese Weise sind der rote und der blaue Stoff unterschiedlich stark und in langen Bahnen ausgebleicht. Für die Ausstellung transformierte die Künstlerin diese Vorhänge auf zweierlei Art, aber einzig durch Veränderungen der ursprünglich vorgesehenen Anordnung: Vier der roten Vorhänge sind nun glatt gespannt und um 90° gedreht an der Wand zu sehen. Dadurch werden die grossen Stoffrechtecke zum Bild. Die fliessenden Hell-Dunkel-Abstufungen des Rots wecken Assoziationen an Horizontlinien mit Sonnenuntergängen und sind technisch entfernt verwandt mit Langzeitbelichtungen, also auch mit Fotografien ebendieser Sonnenuntergänge. Anders die blauen Vorhänge: Auch hier hat sich die Sonne in einer Langzeitbelichtung eingeschrieben und den blauen Stoff über seine gesamte Länge hin ausgebleicht. Aber diese Bahnen werden von der Künstlerin auf dem Boden ausgebreitet. Damit werden sie nicht zum Bild sondern zu einer raumgreifenden Installation, die Erinnerungen an Wasser und Wellen weckt. Eindrücklich zeigt sich Andrea Vogels Gespür für das Ausgangsmaterial und seine Ausdruckskraft: Ein Gebrauchsgegenstand wird im Sinne eines Ready Mades auf ebenso geringfügige wie nachhaltige Weise verwandelt. Er erhält eine inhaltliche Qualität, die sich aus der vorhandenen Form speist, aus dem Verständnis der Künstlerin für das textile Material und sein Potential und aus dem neuen Kontext der Bildenden Kunst. So funktioniert dies auch bei der fast zehn Meter langen Frotteestoffbahn, die Andrea Vogel zusammengewickelt und aufgestellt hat – gleich einer Badetuchfaltung wie sie in Hotels mitunter üblich ist. Hier ist sofort die Verbindung zur plastischen beziehungsweise skulpturalen Gattung präsent. Dies gelingt auch durch die Farbigkeit. Das Grau ist neutral. Optisch ist es dem Beton des Bodens näher als einem Textil zum Abtrocknen. Einmal mehr sorgen Andrea Vogels Aufmerksamkeit, ihr Verständnis für eine dem Material innewohnende Qualität und ihre künstlerische Innovation für eine neue Sichtweise auf das Vorhandene wie auch auf die Kunst. Der Blick der Künstlerin für räumliche Konstellationen, die neue inhaltliche Ebenen öffnen, zeigt sich ausserhalb der Galerie noch einmal: Auf einem der grossen Fenster steht «Du bist schön». Die dahinter befindliche Stellwand der Galerie fängt die Schrift auf und spiegelt sie zurück. Wenn die Sonne auf die Schreiben fällt, zeichnet sich der Schatten der Schrift umso schärfer auf der Rückseite der Stellwand ab. Das Spiel mit Drinnen und draussen, mit Positivform und Spiegelschrift, mit der Transparenz der Scheibe und den gleichzeitigen Reflexionen, mit der Situation im Aussenraum, wo Vorübergehende sich in der Scheibe selbst sehen zeigt noch einmal die dichte Verflechtung von performativen und installativen Elementen. Auch hier verwandelt Andrea Vogel die Ausgangslage durch einen minimalen Eingriff und lenkt den Blick auf die Bewegungsenergie und das Spiel zwischen Licht, Raum und Material.

Text für Andrea Vogel (www.frauvogel.ch)